- 234 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (233)Nächste Seite (235) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

zurück. Er verbringt die Nacht mit ihr, obwohl diese ihn vor ihrer Krankheit gewarnt hat. An die Stelle der Unterzeichnung des Teufelspaktes tritt Leverkühns willentliche Ansteckung mit der tödlichen Syphilis. Sie ist der Preis, den der Teufel Leverkühn für die Befähigung zum Genie abverlangt. Endgültig besiegelt wird der Pakt vier Jahre später, als der Teufel ihm leibhaftig begegnet. Er verspricht ihm die »wahrhaft beglückende, entrückende, zweifellose und gläubige Inspiration«. Dafür gehört seine Seele nach Ablauf der Frist jedoch dem Teufel, und bereits bis dahin darf er nicht lieben: »Dein Leben soll kalt sein – darum darfst du keinen Menschen lieben.« Neunzehn Jahre lebt Leverkühn in wachsender Zurückgezogenheit, in denen seine größten Werke entstehen. Als er seine Freunde noch einmal zu einer Lebensbeichte einlädt, erleidet er einen paralytischen Schock. Seine Zeit ist abgelaufen, er stirbt im Jahre 1940.

Leverkühns Lebensgeschichte wird – ähnlich wie in Der Tod in Venedig – in Beziehung gesetzt mit dem politischen Schicksal Deutschlands, das hier dem nationalsozialistischem Rausch verfällt.26

26 Henschen/Hellmann 1974, S. 548.
Als Faust ist Leverkühn zwar nie einfaches Abbild, jedoch das Symbol des deutschen Wesens. Mit der Figur Zeitbloms stellt Thomas Mann seinem Leverkühn eine Welt entgegen, die der Welt Fausts und allem Dämonentum widerspricht. Zeitblom, der sich gern als Nachfahre der deutschen Humanisten bezeichnet und der alles als wesensfremd empfundene Dämonische instinktiv aus seinem Weltbild ausschaltet, verkörpert wie Aschenbach eine Kulturbürgerlichkeit und Vernunftrechtschaffenheit, der nichts ferner liegt, »als sich mit den unteren Mächten verwegen einzulassen.« Im Gegensatz zu Leverkühn paktiert er nicht mit dem Bösen, sondern lehnt es schlichtweg ab, gerät jedoch trotzdem in seinen Bann, dessen Hilflosigkeit auch im Ausdrucksstil Zeitbloms deutlich wird. In Thomas Manns Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans aus dem Jahre 1949 schildert Mann die Quellen, die er zur Verfassung des Romans benutzte, u.a. die Musikphilosophie Adornos und zahlreiche Tatsachen aus dem Leben Friedrich Nietzsches. In diesem Falle spricht er sogar von einer »Verflechtung der Tragödie Leverkühns mit der Nietzsches«.

Die Parallelen dieses Romans zu Viscontis Film sind vielfältig. Sie gründen sich besonders auf die in Manns Novelle vorgestellte psychologische und ästhetische Problematik, die mit der im Doktor Faustus vergleichbar ist. Zum einen besteht nicht nur eine Verbindung zwischen Zeitblom und Viscontis Aschenbach, sondern auch zwischen Leverkühn und Aschenbach, der im Film zum Komponisten wird. Die Musik beider Protagonisten ist ihrer Zeit voraus. In Viscontis Film wird dies in Szene 50 deutlich, als Aschenbach in einer Traumvision nach der Aufführung eines seiner Werke, das mit einem gewaltig dröhnenden Dissonantakkord endet, vom Publikum verständnislos ausgepfiffen wird. Im Roman Doktor Faustus theoretisiert Leverkühn die Zwölftontechnik, die ganz offensichtlich auf Schönberg zurückgeht, bis ins kleinste Detail. Schönberg hat sich später gegen diese Parallelen ausgesprochen mit dem Wunsch, weder mit dem an Syphilis erkrankten Leverkühn noch mit dem nationalsozialistischen Deutschland identifiziert zu werden. Leverkühn wird im Roman in einer Zeit geboren, als eine musikalische Revolution durch die Grenzen, welche die Geschichte der abendländischen Musik setzt, erschwert wird. So ist die Musik geprägt vom allgemeinen Romantizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ein Problem, das der Teufel im Doktor Faustus auf den Punkt bringt, wenn er sagt, daß jeder bessere Komponist in sich einen Kanon des Verbotenen mitträgt, der alle Möglichkeiten der Tonalität enthält. Diesem Problem sieht sich auch Viscontis Aschenbach gegenübergestellt, was besonders in den Diskussionen mit seinem Schüler Alfried deutlich wird.

Zum anderen besteht eine Parallele zwischen Viscontis Aschenbach und Leverkühn durch den Namen Esmeralda. Nicht nur heißt das Schiff Esmeralda, das Aschenbach nach


Erste Seite (i) Vorherige Seite (233)Nächste Seite (235) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 234 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik