mit dem apollonischen Prinzip vereinigt, dem »Bildungs-Griechentum«
als Ideal von Form und Kontrolle, gesellschaftlich von Zucht und
Ordnung.12
12 Thomas J. Reed: »Mann and his novella: Death in Venice.« In: Donald Mitchell (Hrsg.):
Benjamin Britten. Death in Venice. Cambridge 1987, S. 164.
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Gesellschaftspolitik
Viscontis Film ist zugleich eine Spektralanalyse der Belle Époque vor dem
Ersten Weltkrieg, die mit dem »fin de siècle« in ihre dekadente Phase geriet. Der
Untergang des großbürgerlichen Zeitalters war vorgezeichnet. Im Film bricht der
machtgeschützte Spätwilhelminismus auf und vergeht im Treibhausklima der
mediterranen Welt.
Dekadenz
Sie geht stets einher mit der Suche nach vollkommener Schönheit. Die Verbindung von
Schönheit mit allgemeiner Dekadenz als zentrale Themen des Ästhetizismus ist
charakteristisch für Viscontis Filmkunst. Der Aspekt der Schönheit macht den Film auch
zu einem Werk der Betrachtung: Venedig, die Eleganz des Des Bains stehen jedoch der
Dekadenz gegenüber, die allgegenwärtig ist. Sie kennzeichnet nicht nur den Verfall
der von der Cholera verseuchten Stadt Venedig, sondern auch die kränkelnde
Gesellschaft.
Im Film werden die Themen durch Aschenbachs Begegnungen mit Tadzio, die den
Kern des Films bilden, aktiviert und vermischen sich zu einer »Geschichte von der
Wollust des Untergangs«, wie Thomas Mann seine eigene Novelle bezeichnete. Nach dem
bedeutendsten Vertreter des kritischen Realismus in der bürgerlichen Kultur des 20.
Jahrhunderts fällt hier nun der italienische Regisseur – gemäß der realistischen Tradition
des italienischen Films – das Urteil über den bürgerlichen Künstler Aschenbach, der ein
Vertreter einer sterbenden Kultur ist. Wie Mann verurteilt auch er Aschenbach und
versucht stets, eine ironische Distanz zu seinem Helden zu wahren trotz der Tatsache,
daß die Themen aus dessen Perspektive erfaßt werden. Die Frage, ob Schönheit durch die
Sinne erfaßt wird oder ein Ergebnis von abstrakter Betrachtung im Sinne eines
geistigen Aktes ist, durchzieht sowohl Manns als auch Viscontis Werk. Diese Frage
ist entscheidend für Aschenbach, glaubte er doch sein ganzes Leben lang, daß
Schönheit nicht durch Sinnlichkeit erreicht werden kann, sondern nur durch den
täglichen Kampf eines disziplinierten Geistes. Dies stellt sich als Aschenbachs
Doktrin heraus, die sein Lebenswerk sowohl in der Novelle als auch im Film
begleitet hat. Sie wird erschüttert, als Aschenbach zum ersten Mal mit seinem
Ideal von Schönheit in Gestalt von Tadzio konfrontiert wird, eine Schönheit,
die ganz und gar nicht das Ergebnis von Arbeit, sondern von Natur ist. Für
Aschenbach bedeutet diese Begegnung eine ästhetische Krise. Sie geht einher mit der
Bedrohung der Welt des wohlgeordneten Bürgertums, die durch den Ersten Weltkrieg
erschüttert wird. Aschenbachs Tod symbolisiert nicht nur den Tod des klassischen
Ideals von Schönheit, sondern ist ein auch Krankheitsbefund und Untergang
der so scheinbar schönen bürgerlichen Welt, aus der dieses Schönheitsideal
entsprang.13
13 Frances Thompson McKay: Movement in Time and Space: The Synthesis of Music and
Visual Imagery in Luchino Visconti’s Death in Venice and Stanley Kubrick’s 2001: A
Space Odyssey. Ann Arbor 1982, S. 124.
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