jeder Natürlichkeit.
Er verfällt der Schönheit und der schuldig-unschuldigen Koketterie des polnischen
Knaben. Doch leidet er gleichzeitig unter seiner Unfähigkeit, sich dem Jungen zu
nähern oder gar ein Wort mit ihm zu wechseln. Er ist ein Mann der Distanz, der jeden
menschlichen Kontakt meidet und jegliches Gefühl leugnet. Dieser Konflikt bringt ihn zu
dem Entschluß, sofort abzureisen. Fluchtartig verläßt er den Lido. Am Bahnhof wird
sein Gepäck jedoch durch einen Irrtum des Hotels fehlgeleitet. Aufgebracht über
den Verlust seines Koffers weigert er sich, Venedig zu verlassen. Noch während er
beschließt, zum Lido zurückzufahren, wird er Zeuge, wie ein Mann im Bahnhof tot
zusammenbricht. Wieder am Strand des Hotels De Bains reflektiert Aschenbach sein Leben mit
seiner Frau und Tochter in den Bergen. Inspiriert von der blendenden Erscheinung
Tadzios komponiert er daraufhin ein Stück, das sich in der Novelle später als sein
Meisterwerk herausstellt. Doch die unüberbrückbare Distanz zu dem Jungen bringt ihn an
den Rand eines Zusammenbruchs. Währenddessen reisen immer mehr Gäste ab. Die
Straßen Venedigs durchzieht ein »fataler Geruch«: die Stadt wird desinfiziert. Am
Abend tritt eine Gruppe von italienischen Straßensängern auf der Terrasse des Hotels
auf, welche die dort versammelte bürgerliche Gesellschaft vulgär und gleichermaßen
obszön brüskiert. Als Aschenbach den Sänger nach dem Grund der Desinfizierung
Venedigs fragt, will dieser von einer Seuche nichts gehört haben. Am nächsten Tag
erfährt Aschenbach in einem Reisebüro, daß die Cholera in Venedig ausgebrochen
sei und daß es bereits Tote gegeben hätte. Die Angelegenheit werde des Tourismus
wegen vertuscht. Betroffen von dieser Nachricht, entschließt Aschenbach sich dennoch
dagegen, die polnische Familie in Kenntnis zu setzen, da er ihre sofortige Abreise
und damit auch die Trennung von Tadzio fürchtet. Bei einem Friseur läßt er sich
durch Schminke und gefärbte Haare verjüngen. Von nun an folgt er Tadzio und der
Familie überall hin auf ihrem Spaziergang durch die schmutzigen und immer morbider
werdenden Gassen der Lagunenstadt, in denen überall die infizierten Sachen der Toten
verbrannt werden. Doch bald überkommt ihn zunächst eine physische, später auch
psychische Müdigkeit, als er erkennen muß, daß er das Gleichgewicht zwischen Mensch und
Künstlerexistenz verloren hat und sich nun vollkommen dem Gefühl und der Natürlichkeit
hingegeben hat. Über dieser Erkenntnis bricht er an einer Zisterne zusammen. Am nächsten
Tag begibt er sich an den Strand. Nach einem nächtlichen Alptraum fühlt er sich
nicht wohl. Ein letztes Mal betrachtet er Tadzio, der langsam im seichten Wasser des
Meeres dem Sonnenuntergang entgegengeht, bevor Aschenbach tot im Liegestuhl
zusammenbricht.
Tod in Venedig thematisiert mehrere Fragen und Motive, die sowohl auf den
zeitgenössischen Verhältnissen der literarischen Vorlage basieren, aber auch gemäß den
eigenen Gesetzen einer kinematographischen Umsetzung das Gedankengut des
Regisseurs reflektieren. Die Themen des Films lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Künstlertum
Der Film thematisiert das Künstlerschicksal im Zwiespalt von Geist und Sinnlichkeit,
von Kunst und Alltagsleben mit seiner künstlerischen Motivation, nicht zuletzt
auch im übergeordneten gesellschaftlichen Sinne den Gegensatz zwischen dem
preußisch geordneten Bürgertum und den »Versuchungen des Abseitigen« –
mythologisch ausgedrückt: der Gegensatz zwischen Apollo und Dionysos. Der Film
bewegt sich zwischen diesen beiden Göttern. Ein Bezug zu Nietzsches Theorie
wird offenbar, die besagt, daß die Kunst die dionysischen Kräfte der Tiefe,
der »Befreiung des schrankenlosen Triebes, das Losbrechen der ungezügelten
Natur«11
11 Werner Faulstich: Modelle der Filmanalyse. München 1977, S. 19.
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