geschildert – den
Mitteln der Neuen Musik zuwandten. Diese Stilbewegung hatte Anhänger in mehreren
Ländern. In Frankreich handelte es sich um einige in einem Freundeskreis verbundene
Komponisten, welche sich als »Groupe des Six« bezeichneten, eine lockere Assoziation
von Künstlern in Paris. Hierzu gehörten beispielsweise Darius Milhaud, Arthur
Honegger, Francis Poulenc oder Eric Satie; in Deutschland und Österreich zählten zu
dieser Richtung auch Hanns Eisler und Kurt Weill sowie die Kompositionen
Paul Hindemiths, der in den zwanziger Jahren eine Reihe von Dokumentar-
aber auch experimentelle Filme wie die Fischinger-Filme mit Musik unterlegte.
Gebrauchsmusik war für Hindemith, wie bereits in den zwanziger Jahren gespöttelt
wurde, Verbrauchsmusik. Er vertrat jedoch konsequenter als die anderen die ästhetische
Position, nach der er Filmmusik als vom Zweck nicht ablösbar betrachtete und sie –
im Gegensatz zu Eisler – daher auch anschließend nicht in den Konzertsaal
verlegt hat. Der Grund für diese neue musikdramaturgische Bewegung im Film
liegt u.a. in dem völligen Zusammenbruch der Wertevorstellungen nach dem
Ersten Weltkrieg. Einer Kunst, die – gemäß der Vorstellungen der autonomen
Musik des 19. Jahrhunderts – das Absolute, eine erhabene Weltanschauung
zum Ausdruck bringen sollte, mißtraute man nun, da alle Ideale verschwunden
waren. Den romantischen Gestus symphonischer Musik empfand man nun als
Lüge.33
33 Motte-Haber/Emons 1986, S. 96.
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Die Kunst sollte vom »Sockel der Erhabenheit« heruntersteigen und zur »Dienerin«
werden. Das Ergebnis war eine funktional definierte Musik, die sich an ihrer Rolle für das
Leben und einer neuen Gesellschaftsordnung nach dem Krieg messen mußte. Daher
suchte man nach neuen Formen und Gattungen, daher auch der Griff nach den neuen
Medien Film und Rundfunk, die neue technische Entwicklungen garantierten, denn diese
bestimmten das Leben. Die Musik gerät in das Räderwerk der Technik. Filmmusik wird
zu einer neuen, funktionalen Gattung, die eigene Regeln hat. Die absolute Orientierung
an dem Eindruck des Bildes ist eine der Hauptforderungen. Kurt Weill schreibt
hierzu im Film-Kurier: »Wir brauchen eine sachliche, gleichsam konzertante
Filmmusik, ein Gestalten unter dem Eindruck des Films und kein literarisches
Illustrieren. Mit einer Musik, die ausschließlich die Ausdrucksmittel einer längst
überholten Zeit benutzt, ist an die Lösung des Problems ›Filmmusik‹ nicht
heranzugehen.«34
34 Kurt Weill, Film-Kurier, 13. 10. 1927, zit. n. Lothar Prox: »Konvergenzen
von Minimal Music und Film.« In: Helga de la Motte-Haber (Hrsg.): Film
und Musik. Fünf Kongreßbeiträge und zwei Seminarberichte. Mainz 1993, S.
24.
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Eine funktionale Gebrauchsmusik war also mit dem latent noch vorhandenen
traditionellen Kunstanspruch nicht kompatibel. Traditionelle musikalische Formen
werden daher nahezu aufgelöst durch jene immanente Ton-Bild-Beziehung, beispielsweise
die Imitation von Geräuschen durch Musik wie in Arthur Honeggers musikalischer
Illustration einer anfahrenden Lokomotive. Motte-Haber geht sogar weiter: das Geräusch
ist Musik. Die zum Funktionieren gebrachte Musik stellte alle vormals geltenden
Kategorien musikalischen Sinns in Frage. Die Vorliebe der Komponisten galt
nicht mehr dem Streichersatz. Musik erhielt eine ungegliederte, gleichförmige
Rhythmik, die einen automatischen Ablauf suggeriert. Dementsprechend gewann
Filmmusik neue avantgardistische Konturen; sie verhieß Fortschritt, indem sie
den »schönen Schein« früherer konventioneller Filmkompositionen, die nach
dem Vorbild
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