- 24 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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des Stummfilms hauptsächlich auf verdoppelnde Illustration der Bildebene ausgerichtet waren, in Parodie und Verfremdung auflöste. Doch diese Entwicklung währte nicht lange. Die Idee der Einheit von Kunst und Leben, welche die neue Gebrauchsmusik erfüllen sollte, zerfiel zu Anfang der dreißiger Jahre, weil sich die Wirkungen, die sich im Gewinn eines breiten Publikums hätten zeigen müssen, nicht im gewünschten Maße einstellten. Letztendlich setzte doch wieder Hollywood die Maßstäbe, die einen internationalen Markt wie den des Films dominierend beeinflußten, so auch im Falle der Filmmusik. Darüber hinaus ließ sich die Kategorie des »musikalischen Sinns«, der in den zwanziger Jahren allein auf die Struktur der Musik beschränkt war, nicht gebührend verwirklichen.35
35 Motte-Haber/Emons 1980, S. 102.

Auch für diese Art von »angewandter Musik« stellt sich die Frage nach ihrem Verhältnis zur autonomen Musik. Für Eisler galt beispielsweise die Devise, eine Musik zu schreiben, welche einerseits durch das Bild direkt motiviert wird, die jedoch andererseits eine vollkommen stimmige, eigenständige Musik ist. Danuser verwendet daher für diesen Filmmusikstil den Begriff der »mittleren Musik«: zum einen bedingt durch den Kunstanspruch durch einen mittleren Stilhöhenbereich zwischen dem »Oben« der absoluten Kunstmusik und dem »Unten« schierer Trivialmusik, zum anderen bedingt durch den Stand des musikalischen Materials in einer mittleren Position zwischen einer strikten Atonalität und einer traditionellen funktionsharmonischen Tonalität. Der Anspruch auf Autonomie wird aus dem neuen Stil selbst heraus begründet, nicht aus der Anlehnung an konventionelle musikalische Konzepte. Filmkomponisten zielten mit ihren Kompositionen auf eine Einheit von Kunstgehalt und Funktionserfüllung.36

36 Hermann Danuser: »›Mittlere Musik‹ als Komposition für den Film: Das Beispiel Hanns Eisler.« In: Klaus-Ernst Behne (Hrsg.): film-musik-video oder Die Konkurrenz von Auge und Ohr. Regensburg 1987, S. 14.
Da Eisler eine illustrative Verdopplung des Bildes durch die Musik verachtete, sondern eine Ergänzung von Sinngehalten durch Bild und Musik vorzog, kam es bei ihm nicht nur zu einer Asynchronität, sondern zu einer ganz und gar kontrapunktischen Verwendung von Musik zum Bild. Dafür wurde der Begriff des »dramaturgischen Kontrapunkts« geprägt. Wenngleich seine »angewandte Musik« nicht mehr ausschließlich das in sich ruhende Gebilde bedeutete, so läßt sich seine Musik dennoch auch als selbständig auffassen. Nicht nur auf einen Verwendungszweck ausgerichtet, sondern in sich stimmig. Danuser hingegen erläutert, daß ein solches Beharren Eislers auf musikalische Selbständigkeit lediglich zur Beziehungslosigkeit zwischen Musik und Film führen würde – als solche einer der »Kardinalfehler«, die Adorno/Eisler selbst anprangerten. Dennoch war für Eisler die Übertragung seiner Filmmusik in den Konzertsaal die Regel. Fast seine gesamte Instrumentalmusik aus den dreißiger Jahren ist aus Filmmusik hervorgegangen. Die angewandte Musik wurde in den Rang der autonomen erhoben. Dies war nur möglich, da er bei der Komposition seiner Filmmusik, die von sich aus normalerweise zur Reihung musikalischer Elemente tendiert, um den filmischen Augenblick zu gegenwärtigen, an dem musikalischen Zusammenhang festhielt. So vertraute er auf die Zwölftonreihe als strukturgebendes Element, aber auch auf andere Formen der autonomen Musik wie Krebs und Krebsumkehrungen oder Tonrepetitionen. Damit wollte er »Praktisches, Brauchbares geben und den

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