- 22 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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hinzuzufügen, die ein begriffliches Instrumentarium zur Beschreibung von Filmmusik bereithalten, um dieser Gattung gerecht zu werden. Aus diesem Grunde unterscheidet die Autorin auch zwischen der Beschreibung »Film-Musik als Filmmusik« mit der Betonung auf den Kriterien autonomer Musik und »Filmmusik als Film-Musik«, welche eine eigene Gattung charakterisiert.

Die Beschreibung Film-Musik als Filmmusik kommentiert sie mit den Anfängen der Musik im Film. Die Auseinandersetzung der Dichter mit dem Film der zwanziger Jahre betraf seinen Kunstcharakter. Nun fingen auch namhafte Komponisten wie Schönberg an, »Begleitmusiken« für den Film zu komponieren. Seine Begleitmusik zu einer Lichtspielscene (1929/30) ist ein Stück autonomer Musik, das nicht wie zum reinen Gebrauch bestimmte Gebilde von seinen Funktionen zersetzt wird. Seine Qualitäten gehen nicht aus der »Dienstfertigkeit« hervor, sondern ausschließlich aus sich selbst. Zwar war das Stück, das lediglich aus einem einzigen Satz besteht, für keinen bestimmten Film gedacht – es stand lediglich nach dem Modell von Becces Kinothek unter den Schlagwörtern »Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe« – doch ist bezeichnend, daß das Stück als Begleitmusik für einen Film nie verwendet wurde; hier zeigt sich an einem Beispiel, daß Adornos und Eislers Idealvorstellung von der Neuen Musik als Filmmusik sich nicht bewahrheitet hat. Dennoch entfaltet Schönberg nicht nur einen strukturellen Zusammenhang in dem Werk, er reflektiert »Drohende Angst und Gefahr« anhand von Techniken, die an frühere Musik anknüpfen, beispielsweise das Tremolo oder Tonrepetitionen. Für Schönberg schienen Kunstanspruch gemäß der autonomen Musik und Gebrauchswert gemäß der Filmmusik deshalb miteinander vereinbar, weil er von der Erfindung Film die »Wiedergeburt der Künste« erwartete.32

32 Motte-Haber/Emons 1986, S. 86–87.
Ein weiteres Beispiel für den Bewertungsmaßstab von Filmmusik an autonomer Musik sieht die Autorin in dem Komponisten Erich Wolfgang Korngold bestätigt, der für den Film wie für die Oper hatte komponieren wollen und Drehbücher wie Libretti behandelte. Resultat: ein nahezu ununterbrochener Fluß von Musik, eine »Melodienseligkeit« ohnegleichen. Die Musik hangelt sich hier von Gefühl zu Gefühl. Seine Musik ist grundsätzlich auf Verdopplung des Filmgeschehens angelegt. Das Prinzip der Zusammenfassung der in der Oper getrennten vokalen und instrumentalen Parts hat Korngold durch Anpassung der Musik an die Dialoge gelöst – die Musik führt das Wort, die Dialoge sind oft mit Duetten vergleichbar. Auch satztechnisch unterscheidet sich seine harmonisch oft komplizierte Filmmusik nur wenig von der Oper. Ähnlich wie bei Schönberg existierte auch für Korngold kein Bruch zwischen Kunstanspruch und Gebrauchswert. Und doch mußte sich der Gebrauchswert letztlich der Anpassung an die Kunst, an die autonome Musik unterordnen. Das dem Musiktheater abgekupferte Verfahren Korngolds ist für de la Motte-Haber problematisch, da sich hieraus musikalische Standards für den Film entwickelt haben, die jederzeit austauschbar sind. Ihr Fazit: zwar läßt sich Filmmusik mit herkömmlichen Kriterien betrachten, aber sie läßt sich nicht mit einem traditionellen Kunstanspruch komponieren, d.h. aus Film-Musik kann keine Filmmusik entstehen.

Unter den Begriff der Filmmusik als Film-Musik faßt de la Motte-Haber vor allem Filmmusikkompositionen der zwanziger Jahre; eine Reihe von Komponisten, die sich in ihren Kompositionen für den Film – wie bereits an Eisler und Adorno


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