Tod in Venedig ist mit La Caduta Degli Dei (Die Verdammten, 1969) und Ludwig
(Ludwig II., 1972) der zweite Film der sogenannten »deutschen Trilogie« Viscontis. Die
Verfilmung deutscher Probleme in der Historie steht hier stets im Mittelpunkt der
Dramaturgie: der Aufstieg Deutschlands im 19. Jahrhundert (Ludwig II.) bis hin zu
seinem Sturz am Ende des »Dritten Reiches« (Die Verdammten).
So schildert er in Die Verdammten den Verfall einer deutschen Industriellenfamilie, die
sich durch Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten sanieren will, damit ihren
Abstieg jedoch beschleunigt. Ein opernhaftes Melodram, in dem Visconti Verbindungen
aufzuzeigen versucht zwischen moralischer Dekadenz, sexueller Neurose sowie narzistischer
Selbstbezogenheit und schöngeistiger Todessehnsucht. Letzteres ist bezeichnend für die deutsche
Trilogie, in der sich Visconti zunehmend von dem für ihn typischen Kulturpessimismus
abwendet und die Dramaturgie seiner Filme in eine romantische Umkehrung lenkt. Er
bevorzugt historische Stoffe, deren ästhetische Übersetzung sich immer tiefer in die
Kunstanschauungen des 19. Jahrhunderts vergräbt. Dies zeigt sich besonders in der pompösen
Ludwig-Verfilmung, in der Visconti das Leben des rätselhaften bayerischen Monarchen
streckenweise sehr poetisch nachzeichnet. Eine sehr subjektive Darstellung des weltfremden
Königs, der sich immer mehr von der Politik abwendet und sich seinem wahnhaften
Wirklichkeitsüberdruß und der Kunst verschwenderisch hingibt und letztlich an ihr scheitert.
Der Romantizismus tritt in keinem seiner Filme stärker zutage, denn vorherrschend ist hier die
Antithese von Kunst und Leben, Ideal und Wirklichkeit in der Person des bayerischen
»Märchenkönigs«.
Tod in Venedig geht in erster Linie zurück auf die 1912 erschienene
gleichnamige Novelle Thomas Manns. Mit zunehmendem Alter wächst Viscontis
Interesse an literarischen Klassikern, was sich zuerst an seinen Theater- und
Opernwerken manifestiert und zuletzt auch im Film. »Was mich an der
Geschichte interessiert«, soll Visconti geäußert haben, »ist das menschliche
Drama eines Künstlers, die Geschichte seiner Einsamkeit und seiner Verzweiflung
[. . . ].«7
7 Luchino Visconti 1970, zit. n. Wolfram Schütte: »Kommentierte Filmographie.« In:
Jansen/Schütte 1975, S. 118.
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Visconti kehrte hier mit Thomas Mann zu derselben Quelle zurück, die ihm bereits bei
dem Film Die Verdammten gedient hatte. Der Verfall der großbürgerlichen
Industriellenfamilie geht zurück auf Manns Die Buddenbrooks. Die Verbindung
Visconti-Mann ist umso verwunderlicher, da mit Mann dem Marxisten Visconti
ein Vertreter des Großbürgertums entgegentritt. In der filmischen Arbeit läßt
sich dieser vermeintliche Gegensatz jedoch dahingehend erklären, daß Visconti
hier nie die absolute Position des Marxisten einnimmt, sondern eher die des
Realisten, der jedoch eine marxistische Perspektive gegenüber der Geschichte
einnimmt.
Mit Tod in Venedig zeichnet Visconti den Mittelpunkt der in der deutschen Trilogie
geschilderten Geschichte Deutschlands, der mit der Aussicht auf den Untergang des
Großbürgertums ihn Hinblick auf den Sturz der Monarchie im Jahre 1918 gipfelt. Doch
viele Kritiker verneinen die Verbindung der Filme durch ihre geschichtlichen
Ereignisse, die von romantischer Ideologisierung (Ludwig II.) bis hin zu ihrer
Umkehrung im Nationalsozialismus führen (Die Verdammten). Die Filme würden
keinerlei Erklärung für jenen hochkomplizierten Verlauf der deutschen Geschichte
bieten. Bondanella zufolge sei es wahrscheinlicher, daß Visconti in der deutschen
Trilogie seinem Hang zum »visuellen Spektakel« und der eher authentischen
Auseinandersetzung mit dem Alter, Einsamkeit und Tod an sich nachgegeben
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