die das Zerbrechen
menschlicher Schicksale mit sich bringt. Dies ist, wie bereits erwähnt, auch
das vorherrschende Thema seiner Filme: der Untergang des Filmhelden steht
stellvertretend für den Untergang einer Epoche auf dem Hintergrund gesellschaftlicher
Umwälzungen,4
4 Karl Aeschbach: »Glanz und Verfall des Lebens. Visconti als Aesthet des Menschlichen.«
Cinema 16 (1970) o.S.
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die im Verlaufe des Films jedoch nicht bloßer Hintergrund bleiben, sondern durch
Visconti bewußt zur Darstellung gebracht werden.
In die dramatisch-erzählerische Perspektive von Viscontis Sozialrealismus mischt sich
zwangsläufig die gesellschaftspolitische Kritik. Die Weltanschauung, die er in jedem
seiner Film reflektiert, ist geprägt durch Humanität. Der Mensch ist stets der
Mittelpunkt der Dramaturgie. Er ist Angehöriger einer Klasse, das Verhältnis
der Klassen untereinander bis hin zu einer klassenlosen Gesellschaft ist der
Inhalt von Viscontis Filmen. Dem folgt als gesellschaftspolitische Kritik die
Analyse der Entfremdung der Klassen untereinander oder des einzelnen Menschen
innerhalb seiner Klasse und darauf aufbauend die Sehnsucht des Menschen nach
einer Welt, in der Gefühl und Gedanke, übergeordnet mitmenschliche Haltung
und soziales Dasein sich im Einklang befinden. Durch diese Fixiertheit auf den
Menschen stellt sich Viscontis Weltbild ausschließlich als ein Gesellschaftsbild
dar.5
5 Schlappner 1975, S. 24.
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Vergleicht man Viscontis Filmhelden seit Bellissima (1951) bis hin zu Ludwig II. (1972),
so ergeben sich immer wieder dieselben Gemeinsamkeiten: Livia Serpieri (Senso), Salina
(Il Gattopardo/Der Leopard), Aschenbach (Morte a Venezia/Tod in Venedig) oder
auch Ludwig (Ludwig II.) werden zu Opfern des Leidenschaftlich-Verzehrenden
und des Zerstörerisch-Übermächtigen der menschlichen Natur. Sie alle sind
Scheiternde oder Untergehende. Bei aller Sympathie, die Visconti ihnen im Film
zuteil werden läßt, sind sie die negativen Helden seiner gesellschaftspolitischen
Analyse. Der positive Held ist stets das Volk. Hoffnung im Sinne eines religiösen
Verständnisses existiert in Viscontis Filmen nicht. Er entwirft das Prinzip der Hoffnung
lediglich als Gegenbild zu einer Klassengesellschaft, die tragisch und schuldhaft
verstrickt ist. Die Hoffnung äußert sich daher ausschließlich in der Vision einer
gesellschaftspolitisch veränderten, d.h. klassenlosen Gesellschaft, die Zukunft bedeutet.
Die Schlüsse der Filme sind hierfür bezeichnend: die Vision einer veränderten
Welt wird meist dargestellt in Form von Abschieden bzw. dem Abgang des
Filmhelden. Hoffnung und undurchlässiger Zukunftspessimismus stehen sich hier
gegenüber. Was den Neorealismus der vierziger Jahre beflügelt hat, ist bis hin zu den
späten Filmen Viscontis stets lebendig geblieben: Das Ethos, die Perspektive der
geschichtlichen und gesellschaftspolitischen Kritik aufrechtzuerhalten. Der absolute
Gesellschaftsbezug ist in den Filmen Viscontis, Antonionis oder Fellinis stark
nachvollziehbar. Visconti hat hier großen Einfluß ausgeübt. Nowell-Smith faßt die
Prinzipen des italienischen Realismus in seinem filmischen Werk in einem Satz
zusammen:
»One [thing] is the persistence of part of the general aesthetic of neorealism,
its naturalism-with-a-social-conscience, in the minds of many people. The
other [thing] is the undeniable fact of Visconti’s connection with the movement
and the need to produce a responsible redefinition of this connection. Visconti
without neorealism is Lang without Expressionism and Eisenstein without
Formalism – and without the Russion Revolution.«6
6 Geoffrey Nowell-Smith: Luchino Visconti. London 1973, S. 9.
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