Bains auf den Beginn des Diners wartet. Als Bildton dokumentieren sie
rein dekorativ das behäbig großbürgerliche Ambiente. Der Schlager mit dem
»Lach-Refrain«, wie Thomas Mann ihn selbst in seiner Novelle bezeichnet,
wird an einem Abend von einer Gruppe musikalischer Komödianten auf der
Terrasse des Hotels gesungen. Beethovens Für Elise wird sowohl in Szene 34 von
Tadzio, als auch in Szene 36 von der Prostituierten Esmeralda gespielt und
suggeriert eine Charakterisierung der beiden, was bei der Dramaturgie des Films
noch näher zu erläutern sein wird. In Szene 53 des Films singt eine russische
Touristin am Strand a-capella ein Wiegenlied aus Mussorgskijs Liedern und Tänzen
des Todes (1874–1877). Die Themen Mahlers werden im folgenden besonders
analysiert.
11.1.1. Entstehungsgeschichte und Genre
»Was mich zum Film geführt hat«, so schrieb Luchino Visconti am 25. September 1943
in der Zeitschrift Cinema, »das ist vor allem das Bedürfnis, Geschichten von lebendigen
Menschen zu erzählen, von Menschen, die inmitten der Dinge leben, und nicht von
den Dingen selbst. Das Kino, das mich interessiert, ist ein anthropomorphes
Kino.«1
1 Luchino Visconti 1943, zit. n. Martin Schlappner: »Linien des Realismus im
italienischen Nachkriegsfilm.« In: Peter W. Jansen/Wolfram Schütte (Hrsg.): Luchino
Visconti. Reihe Film 4. München 1975, S. 7.
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Ein Jahr zuvor hatte Visconti seinen Film Ossessione (dt. Titel Ossessione - Von Liebe
besessen)2
2 Inhalt: Ein wandernder Arbeiter findet in der italienischen Po-Ebene Unterkunft und
Beschäftigung bei einem Tankstellenbesitzer, mit dessen junger Frau er ein
leidenschaftliches Liebesverhältnis beginnt. Die zunehmend verzweifelte Glückssehnsucht
der beiden endet im Mord an dem Ehemann. Die Folgen der Tat zerstören jedoch alle
Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft.
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gedreht. Dieser signalisierte den Beginn einer Entwicklung des italienischen Films, die
unter dem Begriff des Neorealismus zusammenzufassen ist.
Mit Viscontis exakter Milieuzeichnung und seiner differenzierten Moral sowie durch
den Einbezug sozialer Verhältnisse und authentischer Schauplätze erschütterte
Visconti den bis dahin herrschenden Provinzialismus des italienischen Kinos
der vierziger Jahre. Die ungewöhnlich offene und pessimistische Darstellung
einer verbotenen Liebe, die an den Konventionen der Gesellschaft scheitert,
erregte besonders das Mißfallen der Zensur im Mussolini-Regime. In diesem
Film schuf Visconti ein neues Zeitbild. Er wurde zum Maßstab aller folgenden
Filme; Authentizität wurde zu einer der Hauptforderungen des italienischen
Films.
Der Neorealismus des italienischen Kinos wurde in den vierziger Jahren zunächst
charakterisiert durch die Auswahl des Stoffes, der seinen Ursprung in den politischen, sozialen
und bürgerlichen Verhältnissen der Zeit hat. Der Regisseur nimmt eine Perspektive ein, aus der
er in seinem Film die Wirklichkeit erfassen kann, indem der betreffende Filmstoff in seiner
geschichtlichen und dialektischen Bedeutung für die Gegenwart gesichtet und gedeutet wird. Die
Wirklichkeit wird jedoch nicht einfach abgebildet, sondern durch die Wechselbeziehung zwischen
Menschen, Dingen und Ereignissen sichtbar gemacht. Doch erst aus der Distanz, mit
der die Analyse der Wirklichkeit geleistet werden kann, vermag der Regisseur die
moralisch-gesellschaftliche Wahrheit in den Griff zu bekommen. Dies hat zur Folge, daß der
neorealistische Film auch durch ein nüchternes Pathos der Gewissenserforschung und der
Wahrhaftigkeit geprägt wird. Der rein phänomenologische
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