- 21 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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»Die Bedeutung der Gattung ist in funktionaler Musik größer und substantieller als in autonomer: Sobald ein Zweck, der durch Musik erfüllt werden soll, zu bestimmten Satzstrukturen und Kompositionstechniken in eine Beziehung gebracht wurde, die sich zur tradierbaren Norm verfestigte, entstand eine Gattung, während ein Stück Abhängigkeit von einer Gattungs-Tradition zu bestehen vermag.«30
30 Carl Dahlhaus: »Gattung.« In: Carl Dahlhaus/Hans Heinrich Eggebrecht: Brockhaus Riemann Musiklexikon, Bd. 2. Mainz 1992b, S. 102.

Daher ist Motte-Haber gemäß der Begriff der »Gattung« zumindest für eine vordergründige Definition der Filmmusik durchaus zulässig, da Filmmusik ganz einfach durch ihre Verwendung beim Film bestimmt ist. Wie bei aller funktional gebundenen Musik ist für Motte-Haber eine die Filmmusik isolierende, an ihrer Machart orientierte Betrachtung zweitrangig, da sich ihr Sinn erst durch den filmischen Kontext konstituiert, aus ihrem Zusammenhang mit dem Bild, aus ihrer Leistung für die Handlung und aus ihrer Wirkung auf den Kinobesucher.

Motte-Habers Orientierung an dem Begriff der musikalischen Gattung bestätigt sich bei ihrer gesamten Definition von Filmmusik, denn sie ist bestimmt durch die Annäherung bzw. durch die Abgrenzung zur autonomen Musik – einer Musik, die auf keinen unmittelbaren Zweck gerichtet nur um ihrer selbst willen komponiert ist. Die Analyse von Funktionen wurde nicht nur am Beispiel der Filmmusik an Maßstäben der autonomen Musik gemessen. Das gleiche gilt auch für den Schlager oder die Popmusik. Doch führte dies häufig zu negativen Einschätzungen, die »keine Form, kein Stil, keine Entwicklung« besagten. So sind analytische Bemühungen auch im Falle der Filmmusik, definiert als »angewandte Musik«, oft vom Wunsch beflügelt, den traditionellen, am Kunstwerk orientierten Musikbegriff zu suspendieren, um eine Ehrenrettung funktionaler Musik zu erbringen. Diese gewaltsame Trennung hält die Autorin für unsinnig. Wichtiger sei es hier, auf die Relativität aufmerksam zu machen, die man mit dem Inhalt eines Musikbegriffes verbindet. Die Vorstellung von autonomer Musik als einer zwecklosen reinen Instrumentalmusik als Kunst, die eine Welt für sich darstellt, hat sich erst mit der Durchsetzung bürgerlicher Wertvorstellungen im 19. Jahrhundert entwickelt. Im Falle der Filmmusik sei es zwar leichter, die allumfassende Bedeutung der autonomen Musik am Filmmusikbegriff einzuschränken als ein neues Instrumentarium zur Beschreibung einzuführen, doch geht es de la Motte-Haber nicht um eine Übernahme von traditionellen Kriterien für Filmmusik, sondern um Relation – um Annäherung und Abgrenzung – zwischen Filmmusik und autonomer Musik, um den Begriff der Filmmusik zu charakterisieren.

Filmmusik einerseits gemäß den herkömmlichen Kriterien autonomer Musik zu behandeln, wobei besonders die Ideen des Zusammenhangs und des Ausdrucks bemüht werden, ist für de la Motte-Haber auch deshalb notwendig, weil Filmkomponisten sich lange Zeit an dem orientierten, was sie gelernt hatten. Da es zunächst noch keine Regeln für die Verbindung der visuellen mit der akustischen Ebene gab, orientierten sie sich bei ihrer Arbeit an den Regeln autonomer Musik. Hollywoods Komponisten hatten mindestens bis in die fünfziger Jahre hinein den Ehrgeiz, nicht hinter der Konzertsaalmusik zurückzubleiben.31

31 Motte-Haber/Emons 1986, S. 81–82.
Andererseits sind neue Kriterien

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