Bleibt die Frage: Warum dient Bach ausgerechnet als Inspiration zu brutalem Mord?
Anders gesagt: Wie kommt jenes Zusammenspiel von musikalischer Leidenschaft und
absoluter Perversion zustande? Wie bereits erwähnt, dient Bachs Komposition zwar der
Charakterisierung Lecters, ihre Funktion als »Wiegenlied für eine Leiche« ist jedoch
ebenso faszinierend wie verstörend. Die aufwühlende Diskrepanz, die sich zwischen der
sanften Melodie der siebten Variation und den überaus blutigen Bildern ergibt, weist
zugleich auf die kontrapunktierende Funktion der Musik hin, die den Zuschauer zwischen
den Zeilen lesen läßt; sie weist über die Musik hinaus. Lecter, dem Anthony Hopkins
so beklemmend Statur gibt, ist ein hochintelligenter Psychologe, der sich auf
tiefsinnige Art und Weise für Bach begeistert, gleichzeitig ist er ein kannibalistischer
Massenmörder. Er ist so gefährlich, daß er vor der Gesellschaft in einem unterirdischen
gläsernen Verließ weggesperrt wird. Er gehört zu sogenannten »vertierten«
Tätern, Menschen mit psychischen Strukturen, für die die Wissenschaft »noch
keinen Namen« hat, wie Clarice im Dialog mit einem Polizeibeamten sagt. Die
Antwort auf diese Diskrepanz deutet Anthony Hopkins in einem Interview an: im
Grunde zeichne Demme mit seinem Film das »Porträt einer zutiefst kranken
Gesellschaft.«34
34 Th. Th. Radevagen: »Das Schweigen der Lämmer. (The Silence of the Lambs.)« Film
und Fernsehen 4 (1991) 26.
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Betrachtet man die Schauplätze der Szenen, so wird deutlich, daß die Tatorte stets
überschaubare amerikanische Städtchen sind, wo jeder jeden kennt. Und doch kann die
Geborgenheit dieser Kleinstädte keine Sicherheit vor verrückten psychopathischen
Mördern geben, im Gegenteil: die amerikanische Lebensweise, die keine Meldepflicht
vorsieht und geschützte Privatsphäre und Privatbesitz als heiliges Rechtsgut
betrachtet, macht es diesen Tätern leicht, lange unentdeckt zu bleiben. Und dies ist
im Grunde, so schließt auch Radevagen, der eigentliche Schrecken von Das
Schweigen der Lämmer. Ahnungslose Kleinstadtmenschen wohnen Tür an Tür mit
Massenmördern, denen man ihr psychische Degenerierung nicht ansieht. Billy,
alias »Buffalo Bill«, wirkt auf den ersten Blick zwar ungepflegt aber harmlos.
Auch einem intelligenten
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