demonstriert dieselbe abgeklärte Ruhe.
Durch Akkordbrechungen und Doppelgriffe entsteht der Eindruck, als seien
mehrere Stimmen latent beteiligt, die miteinander gleichberechtigt verwoben
sind17
17 Frieder Zschoch/Hansjürgen Schaefer/Hans-Joachim Schulze/Karl Heller: Johann
Sebastian Bach. 1685–1750. Mainz/London/New York 1984, S. 184.
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– so wie die Gesichter der beiden Frauen unentrinnbar in Großaufnahmen
zusammengezwängt werden. Der Stimmenaustausch in der Musik wird in der verbalen
Auseinandersetzung der beiden Frauen konkretisiert, in der sie sich nun als gleichrangige
Kontrahentinnen gegenüberstehen und sich gegenseitig mit bedeutungsschweren
Erkenntnissen bekämpfen, wobei die Mutter letztlich unterliegt. Eva ist nicht länger die
unmündige weinerliche Klavierschülerin, im Gegenteil: lange hat sie auf diese
Auseinandersetzung gewartet, durch ihre nagenden Erinnerungen ist sie stark
geworden. Ihre Anklage ist unversöhnlich und endgültig, der Zuschauer wird zum
Richter.
Auf diese Weise agiert Bachs Cellosuite ebenso wie Chopins Werk auf der
semantischen Ebene durch ihre musikalische Struktur und ihren klanglichen
Charakter. Chopins Prélude erklingt im dramaturgischen »Vorspiel« zweimal, um die
jeweils unterschiedlichen Charaktere von Mutter und Tochter gegenüberzustellen;
sie sind noch nicht in der Lage, im direkten Schlagabtausch miteinander zu
kommunizieren, als Medium benötigen sie hier noch das Klavier. Anders ist es im
nächtlichen Showdown: hier sprechen sie direkt miteinander, ihre Stimmen
vereinigen sich bildlich in der Cellosuite zu einem erregten Diskurs, der letztlich
zu einem Aufruf Bergmans zu absoluter zwischenmenschlicher Aufrichtigkeit
wird, in der Worte das sagen, was sie bedeuten. Indem die Musik zu einem
äußeren Mittel der inneren Bewegungen der Charaktere, zu einer Reflexion der
individuellen Seelenlandschaften wird, gebührt sie der grundlegenden Thematik des
Films, der gestörten Kommunikation. Musik sagt mehr als Worte, die im Film
zunächst Auswüchse eines eitlen Intellekts sind – überschwenglich höflich, jedoch
nicht der Wahrheit entsprechend. Dieser Einsatz von Musik korrespondiert mit
Bergmans Philosophie: »I would say that there is no art form that has so much
in common with film as music. Both affect our emotions directly, not via the
intellect.«18
18 Ingmar Bergman 1960, zit. n. Egil Törnqvist: Betwenn Stage and Screen. Ingmar
Bergman Directs. Amsterdam 1995, S. 160.
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Somit fungieren beide Zitate durch ihren musikalischen Kontext psychologisch affirmativ,
zugleich dramaturgisch syntaktisch, indem sie sich dem Rhythmus des Films
anpassen. Dennoch ist Bergmans poetischer Realismus zu subtil, um Chopin oder
Bach abgesehen von der individuellen Szene im Sinne eines »ewigen Stempels«
semantisch neu aufzuladen. Dafür sind die Zitate letztlich doch zu austauschbar, die
Musikgeschichte bietet eine große Auswahl melancholischer Stücke, durch die
man die anatomische Tiefe von seelischer Not und übermächtiger Kontrolle
zugleich ausdrücken kann. Ein dramaturgisches Etikett kann auch gar nicht
das Ziel sein. Die Dramaturgie rückt die Musik ins Zentrum des Geschehens,
sie konturiert das Leinwandereignis mit psychologischen Nuancen. Der Film
seinerseits nutzt die musikalische Semantik, um sie in seinen kontinuierlichen Dialog
einzubauen, um neue Erkenntnisse über diese Mutter-Tochter-Beziehung zu
reflektieren. Dabei erfüllt die Musik die Rolle eines selbständigen bedeutenden
Handlungsträgers, denn nur in diesen Szenen »geschieht etwas«, das durch Sprache,
Mimik und Gestik lediglich aufgefangen und
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