- 210 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, indem sie bereits vor dem Schnitt langsam eingeblendet wird. Auf diese Weise erscheint die Vergangenheit als Teil der Gegenwart. Evas Worte charakterisieren die Stimmung der gesamten Rückblende: »Er [Leonardo] war völlig verändert. Er wirkte irgendwie schwerer und sanfter und größer. Er spielte schlecht, aber wunderschön. Helena saß in der Abenddämmerung und strahlte. Ich habe noch nie so ’was erlebt.« Dem entspricht der gravitätisch gelassene Klang der Sarabande, welche dieser Szene die Besinnlichkeit einer Andacht verleiht. Ihre fesselnde Wirkung auf die Anwesenden ist offensichtlich. Die Kamera erfaßt das Geschehen aus einer statischen Distanz, gleich einem Gemälde. Mit dem Bildnis der »in der Abenddämmerung strahlenden Helena«, von deren Krankheit hier nicht das geringste zu merken ist, rückt Bergman die semantische Ebene in die Nähe des Religiösen. Tatsächlich betrachtete er diese Musik als eine »Freude an Gott«. Die feierliche Pietät in Bachs Musik, so der Regisseur, heile die Qual der menschlichen Treulosigkeit.16
16 Hubert I. Cohen: Ingmar Bergman: The Art of Confession. New York 1993, S. 388.
So scheint die Familie um Charlotte in dieser Szene der Musik in ungewohnter Eintracht zu lauschen. Dementsprechend ist Helenas Liebe zu Leonardo rein, unverdorben und aufrichtig. Die Musik wird zum affirmativen Spiegel ihrer inneren Ruhe und Gelassenheit. Doch währt die Harmonie nicht lange, denn demgegenüber wirkt Charlottes egoistischer Sarkasmus, der Leonardo wenig später zur Trennung von Helena drängt, geradezu kokett brutal und zerstörerisch, was sich letztlich auch auf Lenas Gesundheitszustand auswirkt. In der filmischen Gegenwart der Auseinandersetzung zwischen Eva und ihrer Mutter fungiert Bachs Cellosuite zugleich als Reflexion des emotionalen Barometers. Nachdem Eva zum ersten Mal in ihrem Leben ihren vergifteten Gefühlen ihrer Mutter gegenüber freien Lauf gelassen hat, ist Ruhe eingekehrt. Die psychologische Auseinandersetzung tritt in ihre Endphase. Aus Evas Mimik spricht am Ende nur noch haßerfüllte Resignation. Ihre Worte sind monoton und hart, die Mutter ist ihr mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Die unerbittliche Klaustrophobie der Großaufnahmen macht das Duell noch beklemmender. Diese dramaturgische Konstellation findet ihr Pendant in der Musik. Die graziöse Melodie ist durch ihre steten Punktierungen spannungsreich und rhythmisch symmetrisch. Sie bleibt jedoch gelassen, fast schon stoisch – Eva

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