Definition entziehe. Zurück bleibe die Feststellung, daß jede Musik, auch jeder Ton,
Klang, jedes Geräusch, zu einer »Filmmusik« werden könne, wenn sie bewußt und aus
dramaturgischen Gründen zu den Bildern eines Films gesetzt wird. Bei den Stummfilmen
in der Zeit vor 1927 fehlte der Filmmusik meist sogar die bewußte Setzung und
dramaturgische Begründung, weil der begleitende Kinopianist sie oft zufällig – aus einer
Repertoire-Routine oder Tageslaune heraus – zum Film spielte. »Filmmusik« oder
»Musik im Film« bedeutet daher nach Schneider eine »funktionale und formale
Kategorisierung.«27
27 Norbert Jürgen Schneider: Handbuch Filmmusik. Musikdramaturgie im Neuen
Deutschen Film. München 1986, S. 19; vgl. auch Norbert Jürgen Schneider:
Komponieren für Film und Fernsehen. Ein Handbuch. Mainz 1997.
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Letzteren Begriff »Kategorisierung« dieser recht oberflächlichen Definition charakterisiert er
zunächst durch Filmmusik, die eigens zu einem bestimmten Film komponiert wurde,
auch als Archivmusik, als einer quasi auf Vorrat komponierten Filmmusik in stereotypen
Formen und Stimmungen, und schließlich faßt er unter diesen Begriff auch
die sogenannte »Nicht-Filmmusik« (diesen Begriff übernimmt er von Lissa),
unter der alle präexistente Musik – vom Schlager bis zur Beethoven-Sinfonie
– subsummiert ist, die irgendwann einmal auch im Film landet. Filmmusik
ist nach Schneider eine unakademische Kunst, eine situative Musik, d.h. eine
Musik, die immer auf menschliche Situationen, Stimmungen oder auf einen
sozialen Kontext bezogen ist und daher an uralte Bindungen erinnert: Musik
begleitete Feste, Arbeit oder Trauer und war identisch mit medizinischen oder
religiösen Ritualen – Charakteristika alter Musik, die der europäischen Kunstmusik
weitgehend fremdgeworden sind. In Filmmusik hat sich heute etwas von diesem
Archetypischen der Musik gerettet – Filmmusik ist also eine Art »angewandter
Musikpsychologie.«28
28 Norbert Jürgen Schneider: »›Filmmusik‹ aus der Sicht eines Komponisten.« In: Jürgen
Becker (Hrsg.): Musik im Film. VI. Münchener Symposium zum Film- und Medienrecht
am 26. Juni 1992. Baden-Baden 1993, S. 19.
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Der Filmkomponist ist der »intuitiv begabte Musiker«, der zur Charakterisierung von
Stimmungen und zur Mitteilung von Unaussprechlichem die richtigen Klänge und
Rhythmen findet und dabei nie den Kontakt zu den Hörenden außer Acht läßt. Dies ist
die Sicht des Praktikers, wenn auch eine recht idealistisch formulierte Vorstellung der
Arbeitsmoral eines Filmkomponisten, die sich nicht in jedem Film erkennen
läßt. Dennoch sieht Schneider hieraus in Filmmusik auch ein Art »angewandte
Musiksoziologie.«29
29 Schneider 1986, S. 21.
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1.5.2. Helga de la Motte-Haber/Hans Emons: Filmmusik
Im Gegensatz zu Schneider möchte Helga de la Motte-Haber in der bereits mehrmals
zitierten Monographie in ihren Ausführungen zur Definition von Filmmusik
nicht auf den Begriff der Gattung verzichten. Zwar sei es höchst problematisch,
Filmmusik als eine musikalische Gattung zu bezeichnen, denn dies hieße, einen
Begriff zu benutzen, der – durch die Geschichte in seiner Reichweite begrenzt –
Phänomene des 20. Jahrhunderts nicht mehr ausreichend charakterisiert, doch als
einer der wenigen musikwissenschaftlichen Termini erlaubt der Begriff eine
Differenzierung nach Maßgabe der Zweckgebundenheit. Carl Dahlhaus formuliert hierzu:
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