- 203 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (202)Nächste Seite (204) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

10.  Exkurs: Das Zitat als Spiegel von Charakteren

10.1.  Ingmar Bergman: Herbstsonate

Bisher verwiesen die Zitate als nationales Symbol oder sozialer Index auf ein geschichtliches Umfeld oder gesellschaftliches Milieu, in denen sich die Charaktere bewegten. Die Musik ist ein von der Regie zugefügtes dramaturgisches Mittel, ohne daß die Charaktere sich in den Szenen unmittelbar mit der Musik auseinandersetzen. Zwar erleben wir France in Lacombe, Lucien am Klavier, ihr pianistischer Vortrag verweist jedoch auf eine andere – soziale – Ebene. In seinem Film Herbstsonate aus dem Jahr 1978 schafft Ingmar Bergman dagegen einen direkten Bezug zwischen den Charakteren und der Musik sowie dem dramaturgischem Aufbau der Handlung.

Herbstsonate ist das erste und einzige Filmprojekt der beiden großen schwedischen Bergmans. Der Regisseur hatte sich »mit feurigen Buchstaben in die Seele geschrieben«1

1 Hauke Lange-Fuchs: Ingmar Bergman. Seine Filme - sein Leben. München 1988, S. 242.
, zusammen mit Ingrid Bergman einen Film zu drehen. In Herbstsonate präsentiert er sich ein weiteres Mal als Frauenregisseur. Es ist ein Film um eine komplexe Mutter-Tochter-Beziehung voller Spannungen, Hemmungen und subtiler Aggressionen, die sich im Laufe der Handlung zu einem Konflikt steigern, der es den Frauen ermöglicht, ihre vergifteten Rollen abzustreifen.

In Herbstsonate versammelt Bergman bekannte Motive und Konflikte vorangegangener Filme. In einem stillen Pfarrhaus im norwegischen Bindal führt die verhärmte Pfarrersfrau Eva (Liv Ullmann) mit ihrem zwanzig Jahre älteren Mann Viktor (Halvar Björk) ein zurückgezogenes Leben. Viktor glaubt nicht mehr an Gott, seitdem ihr gemeinsamer Sohn Erik im Alter von vier Jahren ertrunken ist. Er ist gütig und versucht, Eva die Geborgenheit zu geben, nach der sie sich seit ihrer Kindheit vergeblich sehnt, doch »findet er nicht die richtigen Worte«, wie er dem Zuschauer gleich in der ersten Szene erzählt. Eva liebt ihren Mann nicht, sie kann, wie sie sagt, überhaupt nicht lieben; nur Erik hat sie geliebt. Evas Mutter Charlotte Andergast (Ingrid Bergman) ist eine weltberühmte Pianistin. Nach den Tod ihres Lebensgefährten Leonardo fühlt sie sich unsicher und einsam, so daß Eva sie zu sich nach Bindal einlädt. Sieben Jahre haben sich Mutter und Tochter nicht gesehen. Charlotte folgt der Einladung. Nach der ersten überschwenglich nervösen Freude des Wiedersehens zeigen sich die ersten Spannungen. Eva eröffnet ihrer Mutter, daß Helena (Lena Nyman), ihre zweite Tochter, auch im Hause ist. Lena leidet an einer schweren Epilepsie und vegetiert nur noch lallend vor sich hin. Sie hatte früher einmal eine Beziehung zu Leonardo. Nur widerwillig setzt sich Charlotte der Begegnung mit der kranken Helena aus, meistert sie jedoch mit schauspielerischem Bravour. Ihr Entsetzen über


Erste Seite (i) Vorherige Seite (202)Nächste Seite (204) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 203 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik