wird hier das
Kaspar-Hauser-Thema in ganz ungewohnter Form dargestellt. Dennoch bleibt Gavino bis
zum Schluß verbunden mit dem Land seines Vaters. Er fürchtet sich davor, die Macht,
die ihm durch seinen sozialen Aufstieg gegeben ist, so einzusetzen wie es sein Vater
immer getan hat – es wäre der letzte Sieg des Vaters. Sein einzelnes Schicksal
steht jedoch – dem filmischen Prinzip der Tavianis Rechnung tragend – für
eine kollektive Erfahrung. Werner Herzog schreibt hierzu: »Im heutigen Film
gibt es kaum jemanden [. . . ], der mit Musik so umgehen kann wie die beiden
Brüder Taviani, wo die Musik auf einmal ein einzelnes Schicksal und Raum in ein
Allgemeines, für eine ganze Landschaft und eine ganze soziale Situation Gültiges
ausweitet.«112
Wie besonders diese Kompositionen von Mozart und Strauß immer wieder ihre filmische
Abnutzung erfahren haben, so unverbindlich fällt auch das dramaturgische Etikett aus.
Beide Werke garantieren einen hohen Wiedererkennungswert. Insofern ist ihre
Realisierung im Film zwar überlegt aufgrund der absoluten Divergenz zwischen
Handlungsort und Musik, doch ist die Auswahl der Werke zugleich recht plakativ. In
dieser Hinsicht reihen sich Strauß und Mozart auch mit diesem Film in die lange Reihe
ihrer filmischen Anwendung. Daraus ergibt sich: ist die Frage nach einem neuen
dramaturgischen Etikett in diesem Falle wichtig? Nein. Die Häufigkeit, mit der Mozarts
Adagio oder der Fledermaus -Walzer von Strauß im Film erklingen, vereitelt eine
solche Fragestellung von sich aus. Doch damit entsprechen die Tavianis ihrer
dramaturgischen Intention: ein Zitat erfährt meist eine eklatante Neusemantisierung,
wenn es an einen der Charaktere gekoppelt ist. Gavinos Geschichte hingegen
entspricht einer kollektiven Erfahrung. »Diese Geschichte ist nicht nur meine
Geschichte«, so resümiert auch Ledda am Ende des Films. So erklingt zu den
abschließenden Großaufnahmen der Kinder in der Volksschule ein letztes Mal der
von Akkordeon und Orchester intonierte Strauß-Walzer, der die Worte des
Vaters bestätigt: »Heute hat es Gavino getroffen, morgen wird es euch treffen«.
Bedeuteten diese Worte anfangs noch eine Drohung, so wirken sie nun wie eine
Verheißung:113
Der Weg Gavinos ist ein Beispiel, daß eine Befreiung aus generationenlanger
Unterdrückung möglich ist. Insofern stehen auch Mozart und Strauß für eine
kollektive Erkenntnis, die eine mögliche Neusemantisierung eher latent erscheinen
läßt.
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