Schmidt weiter, läßt sich auch nachweisen, daß Für Elise und
die anderen musikalischen Gestalten des Films, ebenso miteinander zusammenhängen,
obwohl sie auf den ersten Blick keinerlei Gemeinsamkeiten aufweisen. Indem jene
visionäre Musik und Für Elise sich mit fortschreitender Handlung stetig abwechseln,
wird suggeriert, wie sehr auch auf der musikalischen Ebene Imagination und
Realität miteinander verzahnt sind, und zwar in der gleichen Weise, wie die
filmische Handlung den Einbruch des Irrealen in die reale Welt darstellt. Damit
findet die filmische Konstruktion in der musikalischen Gestalt des Films ihr
Äquivalent. Realität und Irrealität – Gott und Teufel tauschen die Rollen, der Film
endet in Umkehrung des Mythos von der Unbefleckten Empfängnis mit der
Wiedergeburt des Satans. Noch in der Verkehrung bewahren die Riten der
Satanisten mehr an christlich-religiöser Substanz als die Lippenbekenntnisse des
Durchschnittsamerikaners. Unter soziologischem Gesichtspunkt erscheint auch dieser
Teufelsglaube wie eine pervertierte Spielart jenes religiösen Fundamentalismus, der in
einer säkularisierten Gesellschaft mit ihren Fetischen des Konsums breiten Anklang
findet. Der Teufel, dessen Wiederkehr von dem Oberhaupt der Teufelsgemeinde,
Roman Castavet, hymnisch begrüßt wird, ist ein Teufel der Auflehnung und der
Revolte: »Er wird die Mächtigen besiegen und ihre Tempel zerstören, retten
wird er die Verachteten und Rache üben im Namen der Gefolterten.« Damit
präsentieren sich Roman und die anderen als jene Protestsatanisten, die in
den sechziger Jahren gegen Gott rebellierten. Sie gingen davon aus, daß er
hinter allen beengenden Autoritäten steht und ihre Macht schützt. Aus diesem
Grunde identifizierten sie sich mit Satan, der als Widersacher Gottes schlechthin
galt.87
Der zunächst vermißte zeitgenössische Bezug des Films im New Yorker Alltag
der Figuren taucht also erst hier – in der pervertierten Seite der Realität –
auf. Der Teufel wird zu einem Symbol der Befreiung von moralischen und
gesellschaftlichen Zwängen, wie er in diesen Jahren auch etwa in den Songs der
Rolling Stones erscheint (Their Satanic Majesties Request, Sympathy for the
Devil88).
Der Riß, durch den das Grauen in den New Yorker Alltag hereinkriecht, setzt die
prinzipielle Brüchigkeit dieser Welt voraus. Damit leistet Polanski jenen zeitgenössischen
Kommentar Bezug, den seine Figuren vermissen lassen.
Das amerikanische Bewußtsein befindet sich in den sechziger Jahren in einer Identitätskrise.
Die Angst der Jugend vor dem Erwachsenwerden und der Rückfall in infantiles bzw. regressives
Verhalten – wie beispielsweise im Exorzisten dargestellt – verweist auf eine Ich-Schwäche, die
auch auf die ausgehenden sechziger Jahre zurückgehen dürfte. Man befand sich in einer Zeit der
Kluft zwischen den Generationen, der Autoritätskrise, in der die Älteren bei den Jüngeren ihre
Glaubwürdigkeit verloren hatten: »Lieber Kind bleiben als so werden wie unsere Eltern.«
Neue Autoritäten oder Vorbilder für diese vaterlose Generation waren nicht in Sicht.
Stattdessen begann ein Prozeß der Selbstfindung und Selbstbestimmung. Auch die
Angst vor der Macht, dem Schicksal verweist auf reale Herrschaftsverhältnisse, wie
sie seit den frühen siebziger Jahren weltweit öffentlich gemacht wurden. Hier sind
vor allem der Watergate-Skandal zu nennen (1972), der die Politik als kriminellen
Sumpf entlarvte, oder der Vietnamkrieg, der 1973 mit einer Niederlage der USA
endete.89
89 Werner Faulstich: »Antichrist, Besessenheit und Satansspuk. Zur Typologie und Funktion des
neueren Teuelsfilms.« Faust und Satan 66 (1987) 112–114.
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Das Vertrauen in die als korrupt geltenden, machthungrigen und unfähig geltenden Politiker
war erschöpft und gab – beginnend mit Rosemaries Baby – der Figur
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