substanzlosen Fingerübungen verbiegt, die an Czerny oder
Clementi erinnern, wird unüberhörbar, daß es weniger ein Musizieren um der
Begabung willen ist: »Es ist eine Barbarei, Beethoven von Backfischen traktiert zu
hören!«79
79 E. L. Schellenberg: Fünf Briefe an Emanuel Tönemeier, einen Musiker, von einem
Dilettanten. Leipzig 1912, S. 51, zit. n. Ballstaedt/Widmaier 1989, S. 341.
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Für das Bürgertum, das Polanski uns hier vorführt, gilt anscheinend noch immer das
überholte Prinzip des repräsentativen Bildungsetiketts: Klavier zu spielen, ist ein
ideologisches Stigma von guter Erziehung und Reichtum.
In Szene 11 erklingt Beethovens Für Elise zum zweiten Mal. Mittlerweile wird
langsam der Konflikt aufgebaut, Terrys Tod war das auslösende Moment. Zwischen den
Szenen, in denen Beethoven zitiert wird, erhält der Zuschauer immer wieder kurze
Informationen über Rosemarie und ihre soziale Herkunft wie auch ihre Position
innerhalb ihrer Ehe mit Guy. Natürlich wäre es vermessen, hier den Begriff der »höheren
Tochter« gewaltsam anbringen zu wollen. Doch die streng katholische Erziehung auf
einem von Nonnen geleiteten Mädchenpensionat ist ein Etikett: Rosemarie und
Guy sind ein Paar der amerikanischen Mittelschicht. Sie ist ein wohlerzogenes,
zurückhaltendes, wenn auch blond-naives Mädchen aus der Provinzstadt Omaha
im amerikanischen Midwest. Ihr bedeutet Konsum genauso viel wie Guy: sie
stattet ihr Heim mit einer konfektionierten Schöner Wohnen-Gemütlichkeit
aus, sie bevorzugt sonnengelbe Tapeten und helle Polstermöbel. Guy legt Wert
darauf, Oberhemden nach den Anzeigen des New Yorker zu tragen. In der
Szene des Einzugs ergibt sich zudem eine klare Geschlechterrollendefinition, die
zumindest an die obigen Ausführungen zum musikalischen Kontext anknüpft:
Rosemarie findet die Befriedigung ihrer Wunschträume in ihrem Dasein als
perfekte Hausfrau und Mutter. Ihr Betätigungsfeld liegt in der Ausgestaltung ihrer
häuslichen Umgebung. Sie überwacht die Malerarbeiten und kümmert sich
mit Elan um eine neue Wohnungseinrichtung, die sie Guy stolz präsentiert,
als dieser am Abend von seiner Arbeit nach Hause kommt. Da man sich im
20. Jahrhundert befindet, hat sie die Möglichkeit, die Arbeit ihres Mannes
»draußen« via Fernsehbildschirm begeistert mitzuverfolgen. Damit bekommt die
»Bewährungsprobe« des Mannes im konsumgeprägten öffentlichen Leben einen
geradezu wörtlichen Sinn. Zu ihrem »häuslichen Glück« gehören nun noch drei
Kinder.
Zwar sehen wir Rosemarie nicht selbst an einem Klavier sitzen, doch allein die
Tatsache, daß sie in einem altviktorianischen Haus Tür an Tür mit »kulturbeflissenen«
Nachbarn wohnt, dokumentiert jenes Bildungsprogramm einer »höheren Tochter«, das
man unwillkürlich an der Hauptdarstellerin mißt. Hinsichtlich der gesellschaftlichen
Umwälzungen der sechziger Jahre wirkt diese Bildungsideologie jedoch nur noch obsolet.
Das Klavier ist im 19. Jahrhundert ein Attribut häuslicher Gebundenheit der Frau; und
so ist es auch kein Zufall, daß Für Elise immer dann hörbar wird, wenn sich die
Handlung in Rosemaries engerem häuslichen Lebensbereich, vor allem in der Küche,
abspielt. Die Musik als »Musik von nebenan« gehört wie die Nachbarin Minnie zum
Alltag dieses Hauses. Obwohl auf den ersten Blick schrill und verschroben, wirkt Minnie
in diesem durch die Musik charakterisierten täglichen Einerlei wie eine zwar
aufdringliche, letztlich jedoch harmlose Nachbarin. Die Musik wird zu einem
Hintergrundreiz, der sich – wie in der zweiten Szene – mit anderen Geräuschen
wie offenen Wasserleitungen oder Straßenlärm vermischt.
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