(d.h. des
Hollywood-Stils der dreißiger und vierziger Jahre) offenkundig sind, hält die
Filmindustrie nicht genug Geld für Experimente bereit. Infolgedessen fürchtet er die
Einführung einer »mittleren Linie«, die besagt: modern, aber nicht zu sehr.
Gewisse Techniken der modernen Musik wie das Ostinato der Strawinskyschule
beginnen sich einzuschleichen, so daß eine Absage an die Routine zu einer neuen,
pseudo-modernen Routine führen könnte. Sein Fazit: »Der Gedanke, daß über den
Umweg über gemäßigte Kopien das radikale Original sich durchsetzen könnte, ist eine
Illusion.«20
20 Adorno/Eisler 1976, S. 50.
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Doch die Durchsetzung des Originals war jedoch – wie die Filmmusikgeschichte zeigt –
auch eine Illusion.
1.3. Siegfried Kracauer: Theorie des Films
Siegfried Kracauer verbindet in seiner Theorie des Films. Die Errettung der äußeren
Wirklichkeit mit dem Begriff der Filmmusik funktionsbezogene Synonyme wie
»Kommentierende Musik«, »Aktuelle Musik« und »Musik als Kristallisationskern des
Films.«21
21 Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit.
Frankfurt am Main 1964, 3. Aufl. 1996, S. 193–194; vgl. auch Kap. 4.1.2, Physiologische
und ästhetische Funktionen.
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Der Begriff des »Filmischen« ist für Kracauer das alleinige Kriterium für die
Verwendung von Musik im Film. Filmgerecht ist sie, wenn die materiellen Aspekte der
Realität, die letztlich auch der Film widerspiegeln soll, verdeutlicht. Daher ist für
Kracauer die »aktuelle Musik« als Filmmusik, beispielsweise ein Schlager oder eine
Leierkastenmelodie auf der Straße, die sich direkt im Handlungs- und Bildgeschehen
abspielt, in weitaus größerem Maße »filmisch« – zumindest als »Zufallsmusik« im Bild -
für Kracauer ein »beiläufiges Zeugnis fließenden Lebens.« Filmmusik scheint
seines Erachtens umso authentischer zu sein, je mehr sie sich der physischen
Realität unterordnet. Nach de la Motte rückt sie damit in die Nähe musikalischer
Anonymität, letztlich des Geräusches, und wird so auf ihre Primärfunktion im
Stummfilm zurückverwiesen, ihre eigene Kontinuität auf die stummen Bilder zu
übertragen. Aus einer Kindheitserinnerung aus der Zeit des Stummfilms schreibt
Kracauer über den Kinopianisten: »Er befand sich selten in einem Zustand, den
man hätte nüchtern nennen können. Und wenn er spielte, war er so völlig in
sich selbst versunken, daß er auch nicht einen einzigen Blick auf die Leinwand
verschwendete. Seine Musik schlug einen Kurs ein, der sich nie voraussehen
ließ.«22
22 Kracauer 1996, S. 190.
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Mehr also auch durch den Zufall im Spiel des Pianisten als durch ästhetische
Konstruktion bestimmt, erscheint Filmmusik wie das verfeinerte Abbild der
unberechenbaren und bunten akustischen Vielfalt des Lebens, der Realität; für ihn wird
die heruntergekommenste Filmmusik zum Vorschein der besten, die mit dem Film eine
Einheit bildet, wenn er schreibt:
»Und in Verbindung mit den üblichen Diskrepanzen erweckten diese zufälligen
Koinzidenzen in mir den Eindruck, daß schließlich doch ein, wenn auch noch
so schwer faßbarer Zusammenhang zwischen den musikalischen Monologen
des alten Mannes und den Dramen auf der Leinwand bestehe – ein
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