Trotz aller enthusiastischen
Überzeugung von der Neuen Musik als zukunftsweisende Kompositionstechnik für
Filmkomponisten, zeigen Adorno und Eisler dennoch ein gewisses Maß an Realität und
warnen vor Gefahren des neuen Stils. Der Komponist Eisler warnt vor allem vor
Überkomplexizität des Details, der Sucht, jedes musikalische Detail möglichst
interessant zu gestalten, formalistische Pedanterie. Außerdem berge eine allzu
leichtherzige Übernahme der Zwölftontechnik Gefahren insofern, daß sie zwar in der
arithmetischen Reihe stimmig sein mag, jedoch nicht dem richtigen musikalischem
Zusammenhang entspricht. Ganz besonders hüte man sich jedoch vor einem
»verantwortungslosen Draufloskomponieren mit den neuen Mitteln, Neutönertum im
schlechten Sinn«, da der Wegfall der gewohnten Bezugssysteme der traditionellen Musik
scheinbar unendliche Möglichkeiten der Komposition mit Techniken der Neuen
Musik eröffnet. Hier sieht er vor allem den Rezipienten als mögliches Opfer
eines neuen Stils, da die Konventionsfremdheit Neuer Musik gegenüber der in
Konservatorien erlernten musikalischen Sprache – zwar wie früher auch – zu bloßem
Stümpertum führen könne, nur dieses vom in der Neuen Musik ungeübten
Hörer nicht erkannt wird. Hierin wird einmal mehr eine negative, fast schon
intellektuell-überhebliche Bewertung des Zuschauers seitens beider Autoren
deutlich, die ihn nicht länger als kunstinteressiertes Individuum sehen wollen (der
Kunstbegriff ist nach Adorno und Eisler für den Film sowieso nicht gerechtfertigt),
sondern als Bestandteil einer kritiklosen, schaulustigen Masse, die von jeder
noch so niveaulosen »musikalischen Wassersuppe« hingerissen ist. Doch sowie
sie in ihren gesamten Ausführungen den schlechten und heruntergekommenen
Publikumsgeschmack beklagen, relativieren sie ihre Aussagen, wenn sie sagen: »[. . . ]
so sind auch die Einsichten des Publikums ›schlecht‹ und die Einsichten des
Fachmanns ›gut‹. [. . . ] Die Geste der Kinomusik, die kritisiert wird, ist das
›Das wollen die Leute sehen, sonst zieht die Sache nicht‹ – also gerade die
fachmännische Einschätzung des Publikums als ›Faktor‹, die stets auf dessen Betrug
hinausläuft.«19
19 Adorno/Eisler 1976, S. 131.
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So sehen die Autoren den Zuschauer wie letztlich auch die Musik als ein Opfer der
Filmindustrie an. Zwar ist ein durch das Massenmedium bewirkter Wandel der
Öffentlichkeit zu dieser Zeit nicht zu leugnen, diese jedoch mit deutlich sozialistisch
geprägtem Vokabular der absoluten Kritiklosigkeit zu bezichtigen, zeugt von
pessimistischen Vorurteilen dem Fortschritt gegenüber. Sowohl diesen als auch
Geschichte sowie einen Kunstwert verweigern die Autoren der Filmmusik, die als
publikumswirksamer Reklamemagnet ihrer Meinung nach ein armes Dasein in der Welt
der unerschütterlichen Marktwirtschaft fristet, die ganz von Angebot und Nachfrage
dominiert wird. Ganz offensichtlich »trauern« beide Autoren dem historischen
Phänomen der autonomen Musik des vergangenen Jahrhunderts nach. Daß
bürgerliche Komponisten des 19. Jahrhunderts bereits nach dem gleichen Prinzip von
Angebot und Nachfrage – wenn auch unter anderen Umständen – komponiert
und sich damit dem Publikumsgeschmack unterworfen haben, lassen beide
Autoren unerwähnt. Daß Filmmusik im Zuge der Industrialisierung, in der Adorno
eine Verdummung der Massen sehen möchte, publikumswirksame Popularität
gewann, ist aus heutiger Sicht längst kein Urteil mehr. Adorno hält sich wiederum
weniger an die Praxis der Komposition, er warnt vor möglichen Konsequenzen die
Filmindustrie betreffend. Obwohl die Mängel gegenwärtiger Filmmusik
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