- 17 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Trotz aller enthusiastischen Überzeugung von der Neuen Musik als zukunftsweisende Kompositionstechnik für Filmkomponisten, zeigen Adorno und Eisler dennoch ein gewisses Maß an Realität und warnen vor Gefahren des neuen Stils. Der Komponist Eisler warnt vor allem vor Überkomplexizität des Details, der Sucht, jedes musikalische Detail möglichst interessant zu gestalten, formalistische Pedanterie. Außerdem berge eine allzu leichtherzige Übernahme der Zwölftontechnik Gefahren insofern, daß sie zwar in der arithmetischen Reihe stimmig sein mag, jedoch nicht dem richtigen musikalischem Zusammenhang entspricht. Ganz besonders hüte man sich jedoch vor einem »verantwortungslosen Draufloskomponieren mit den neuen Mitteln, Neutönertum im schlechten Sinn«, da der Wegfall der gewohnten Bezugssysteme der traditionellen Musik scheinbar unendliche Möglichkeiten der Komposition mit Techniken der Neuen Musik eröffnet. Hier sieht er vor allem den Rezipienten als mögliches Opfer eines neuen Stils, da die Konventionsfremdheit Neuer Musik gegenüber der in Konservatorien erlernten musikalischen Sprache – zwar wie früher auch – zu bloßem Stümpertum führen könne, nur dieses vom in der Neuen Musik ungeübten Hörer nicht erkannt wird. Hierin wird einmal mehr eine negative, fast schon intellektuell-überhebliche Bewertung des Zuschauers seitens beider Autoren deutlich, die ihn nicht länger als kunstinteressiertes Individuum sehen wollen (der Kunstbegriff ist nach Adorno und Eisler für den Film sowieso nicht gerechtfertigt), sondern als Bestandteil einer kritiklosen, schaulustigen Masse, die von jeder noch so niveaulosen »musikalischen Wassersuppe« hingerissen ist. Doch sowie sie in ihren gesamten Ausführungen den schlechten und heruntergekommenen Publikumsgeschmack beklagen, relativieren sie ihre Aussagen, wenn sie sagen: »[. . . ] so sind auch die Einsichten des Publikums ›schlecht‹ und die Einsichten des Fachmanns ›gut‹. [. . . ] Die Geste der Kinomusik, die kritisiert wird, ist das ›Das wollen die Leute sehen, sonst zieht die Sache nicht‹ – also gerade die fachmännische Einschätzung des Publikums als ›Faktor‹, die stets auf dessen Betrug hinausläuft.«19
19 Adorno/Eisler 1976, S. 131.
So sehen die Autoren den Zuschauer wie letztlich auch die Musik als ein Opfer der Filmindustrie an. Zwar ist ein durch das Massenmedium bewirkter Wandel der Öffentlichkeit zu dieser Zeit nicht zu leugnen, diese jedoch mit deutlich sozialistisch geprägtem Vokabular der absoluten Kritiklosigkeit zu bezichtigen, zeugt von pessimistischen Vorurteilen dem Fortschritt gegenüber. Sowohl diesen als auch Geschichte sowie einen Kunstwert verweigern die Autoren der Filmmusik, die als publikumswirksamer Reklamemagnet ihrer Meinung nach ein armes Dasein in der Welt der unerschütterlichen Marktwirtschaft fristet, die ganz von Angebot und Nachfrage dominiert wird. Ganz offensichtlich »trauern« beide Autoren dem historischen Phänomen der autonomen Musik des vergangenen Jahrhunderts nach. Daß bürgerliche Komponisten des 19. Jahrhunderts bereits nach dem gleichen Prinzip von Angebot und Nachfrage – wenn auch unter anderen Umständen – komponiert und sich damit dem Publikumsgeschmack unterworfen haben, lassen beide Autoren unerwähnt. Daß Filmmusik im Zuge der Industrialisierung, in der Adorno eine Verdummung der Massen sehen möchte, publikumswirksame Popularität gewann, ist aus heutiger Sicht längst kein Urteil mehr. Adorno hält sich wiederum weniger an die Praxis der Komposition, er warnt vor möglichen Konsequenzen die Filmindustrie betreffend. Obwohl die Mängel gegenwärtiger Filmmusik

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