Auch die Musikpädagogik versuchte, mit dem Begriff »Salon« Terrain für die Klassiker
zu gewinnen, wie die folgende Anzeige über ein Werk zum modernen Klavierunterricht
von Arthur Blaß verdeutlicht:
»Den Geist unserer großen Meister unter den anders gearteten Zeiten zu
bewahren, den Stil ihrer Werke festzuhalten, das ist das höhere Ziel modernen
Klavierunterrichts. Eine neue Zufahrtsstraße zu den Wiener Meistern zu
bauen, ist der Zweck des vorliegenden Buches. Der neue Weg ist eben der,
welcher über die Salonmusik des 18. Jahrhunderts, insbesondere auch über
die dieser Gattung angehörenden Werke von Haydn und Mozart zu ihren
tiefergehenden Klavierwerken hinleitet.«77
77 Ballstaedt/Widmaier 1989, S. 349.
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Unter dem Gesichtspunkt der »Sozialen Rolle von Musik« (Marcel Proust) ist dagegen
nicht zu übersehen, daß die autonome Musik im Kontext des Salons eine Funktion
beibehielt, die ihr auch außerhalb des Netzes konkreter Zwecksetzungen zugesprochen
wurde: die Funktion, imaginäre Gegenwelten zu ermöglichen; gerade die Nähe der
klassischen Werke zu jenem hochgeschätzten sentimentalen Ton der Salonstücke
dürften einem solchen Genuß entgegengekommen sein. Andere klassische Werke,
die sich für das »Tagträumen« der höheren Tochter wie auch des Publikums
sowie andere Zwecke im Salon nicht eigneten, wurden nicht in die Salonalben
aufgenommen.
Der Erfolg von Für Elise ist das größte Rätsel des Stückes. Warum wurde
ausgerechnet diese kleine Klavierstückchen Beethovens so erfolgreich? Darüber schweigt
die Literatur. Zur Erkenntnis des Tonstückes, so kritisiert Riethmüller, trägt sie
lediglich etwas zum exakten Entstehungsdatum und zum exakten Namen bei –
bisher ohne schlüssiges Resultat. Doch selbst im Falle neuer Erkenntnisse zu
diesen Fragen: ob Beethoven es nun Elise, Therese oder Amalie gewidmet hat
– für das Stück und die Erklärung seiner so eminenten Wirkung wäre auch
damit nichts gewonnen – und auf diese kommt es letztlich musikgeschichtlich
an.
9.3.2. Die dramaturgische Umsetzung
Siebenmal wird Beethovens Für Elise im Film zitiert. Das Stück erstreckt sich
über die gesamte dramaturgische Anlage. In der Exposition erklingt es zum
ersten Mal zusammen mit einleitenden Fingerübungen und Tonleitern, als Rose
und Guy die Wohnung erstmals betreten (Szene 2). Polanski achtet gleich zu
Beginn auf die Kameraeinstellung: so ist es Rosemarie, die hier wie auch in
allen weiteren Szenen von der Kamera als Bildmittelpunkt eingefangen wird,
während das Stück erklingt. Auf diese Weise haftet es ihr gleich wie eine Art
Possessivpronomen an. Besonders deutlich wird dies in der Einstellung, als Rose
zufällig eine kurze Notiz der Vormieterin liest (»Ich halt’s nicht mehr aus in einer
Haut.«78
78 Die Übersetzung im Film ist mißverständlich; »I can no longer associate myself«
bedeutet soviel wie »Ich kann nicht länger mitmachen« – eine Übersetzung, die den
weiteren Verlauf der Dramaturgie klarer erscheinen ließe.
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);
die antiquierte Handschrift erscheint in einer Großaufnahme, eingerahmt von der
insistierenden Einleitung des Stückes, das an dieser Stelle dynamisch hochgefahren wird.
Zwar läßt sich die Dimension dieser kurzen Notiz noch nicht erfassen, doch ist die
musikalische Ausgangsposition in bezug auf Rosemarie definiert.
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