- 178 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Auch die Musikpädagogik versuchte, mit dem Begriff »Salon« Terrain für die Klassiker zu gewinnen, wie die folgende Anzeige über ein Werk zum modernen Klavierunterricht von Arthur Blaß verdeutlicht: »Den Geist unserer großen Meister unter den anders gearteten Zeiten zu bewahren, den Stil ihrer Werke festzuhalten, das ist das höhere Ziel modernen Klavierunterrichts. Eine neue Zufahrtsstraße zu den Wiener Meistern zu bauen, ist der Zweck des vorliegenden Buches. Der neue Weg ist eben der, welcher über die Salonmusik des 18. Jahrhunderts, insbesondere auch über die dieser Gattung angehörenden Werke von Haydn und Mozart zu ihren tiefergehenden Klavierwerken hinleitet.«77
77 Ballstaedt/Widmaier 1989, S. 349.

Unter dem Gesichtspunkt der »Sozialen Rolle von Musik« (Marcel Proust) ist dagegen nicht zu übersehen, daß die autonome Musik im Kontext des Salons eine Funktion beibehielt, die ihr auch außerhalb des Netzes konkreter Zwecksetzungen zugesprochen wurde: die Funktion, imaginäre Gegenwelten zu ermöglichen; gerade die Nähe der klassischen Werke zu jenem hochgeschätzten sentimentalen Ton der Salonstücke dürften einem solchen Genuß entgegengekommen sein. Andere klassische Werke, die sich für das »Tagträumen« der höheren Tochter wie auch des Publikums sowie andere Zwecke im Salon nicht eigneten, wurden nicht in die Salonalben aufgenommen.

Der Erfolg von Für Elise ist das größte Rätsel des Stückes. Warum wurde ausgerechnet diese kleine Klavierstückchen Beethovens so erfolgreich? Darüber schweigt die Literatur. Zur Erkenntnis des Tonstückes, so kritisiert Riethmüller, trägt sie lediglich etwas zum exakten Entstehungsdatum und zum exakten Namen bei – bisher ohne schlüssiges Resultat. Doch selbst im Falle neuer Erkenntnisse zu diesen Fragen: ob Beethoven es nun Elise, Therese oder Amalie gewidmet hat – für das Stück und die Erklärung seiner so eminenten Wirkung wäre auch damit nichts gewonnen – und auf diese kommt es letztlich musikgeschichtlich an.

9.3.2.  Die dramaturgische Umsetzung

Siebenmal wird Beethovens Für Elise im Film zitiert. Das Stück erstreckt sich über die gesamte dramaturgische Anlage. In der Exposition erklingt es zum ersten Mal zusammen mit einleitenden Fingerübungen und Tonleitern, als Rose und Guy die Wohnung erstmals betreten (Szene 2). Polanski achtet gleich zu Beginn auf die Kameraeinstellung: so ist es Rosemarie, die hier wie auch in allen weiteren Szenen von der Kamera als Bildmittelpunkt eingefangen wird, während das Stück erklingt. Auf diese Weise haftet es ihr gleich wie eine Art Possessivpronomen an. Besonders deutlich wird dies in der Einstellung, als Rose zufällig eine kurze Notiz der Vormieterin liest (»Ich halt’s nicht mehr aus in einer Haut.«78

78 Die Übersetzung im Film ist mißverständlich; »I can no longer associate myself« bedeutet soviel wie »Ich kann nicht länger mitmachen« – eine Übersetzung, die den weiteren Verlauf der Dramaturgie klarer erscheinen ließe.
); die antiquierte Handschrift erscheint in einer Großaufnahme, eingerahmt von der insistierenden Einleitung des Stückes, das an dieser Stelle dynamisch hochgefahren wird. Zwar läßt sich die Dimension dieser kurzen Notiz noch nicht erfassen, doch ist die musikalische Ausgangsposition in bezug auf Rosemarie definiert.

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