- 171 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (170)Nächste Seite (172) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Der Begriff »Salonmusik« läßt sich nicht in wenigen Worten definieren.44
44 Vgl. hierzu die umfassenden Ausführungen von Ballstaedt/Widmaier 1989, S. 14–24.
Aus diesem Grunde sollen hier lediglich einige gemeinsame Merkmale von Salonstücken des 19. Jahrhunderts aufgeführt werden, über die in Quellentexten weitgehend Einigkeit herrscht. Der Begriff wurde etwa Mitte der 1830er Jahre durch Robert Schumann geprägt. Wie der Terminus bereits andeutet, so formulieren es Ballstaedt und Widmaier, bezeichnet Salonmusik sowohl eine musikalische Praxis, die an einen bestimmten Raum und einen spezifischen geselligen Kontext gebunden ist – »Musik im Salon« – als auch eine speziell für diesen Rahmen komponierte und auf dem Musikalienmarkt angebotene Gattung von Tonstückchen im Sinne von »Musik für den Salon«.45
45 Ballstaedt/Widmaier 1989, S. 15.
Der Salon als architektonischer Ort wie auch die dort stattfindenden Geselligkeiten bildeten also die Grundlage der Salonmusik. Ausgehend von der virtuosen Salonmusik Frankreichs verflachte sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts ins Breit-Bürgerliche. Die Trägerschicht bildete dabei – neben dem aufsteigenden Kleinbürgertum – vornehmlich das Besitz- und Bildungsbürgertum. Dazu gehörte die Schicht der Ärzte und Akademiker, aber auch die der Kaufleute, Beamten und Künstler.

Die Entwicklung der Salonmusik ist untrennbar verbunden mit einer wachsenden Popularität des Klaviers. Es wurde zum schlechthin bedeutsamsten Saloninstrument, zum zentralen Möbel des bürgerlichen Salons. Aus diesem Grund handelt es sich bei der Salonmusik vorwiegend um Unterhaltungsmusik für das Klavier, die »neben dem Tee, Punsch, Wein [. . . ] von der schönen Welt ganz gemütlich so wie jenes eingenommen wird«.46

46 Johannes Kreisler: »Johannes Kreisler’s, des Kapellmeisters, musikalische Leiden.« Allgemeine Musikalische Zeitung (26. 09. 1810) 826.
Das Klavier wurde somit zum »gesellschaftsfähigen« Instrument. Wie kein anderes Instrument war es eine Art »autonom individuelles Universalgerät« und entsprach den Bedürfnissen einer musikgierigen Gesellschaft. Das bedeutete, daß ein Spieler allein sich behaupten, aber auch sich blamieren, brillieren oder langweilen konnte.47
47 Dieter Hildebrandt: Pianoforte oder Der Roman des Klaviers im 19. Jahrhundert. München/Wien 1985, S. 26.
Im Jahre 1825 mokiert sich Charles Sealsfield über die Wiener Verhältnisse: »Straßauf straßab hört man nur Musik. In jedem Bürgerhaus ist denn auch das Klavier das erste, was man erblickt. Kaum hat der Gast Platz genommen und sich an gewässertem Wein und Preßburger Zwieback erquickt, so wird das Fräulein Karoline oder wie es sonst heißen mag, von den Eltern aufgefordert, dem Gast etwas vorzuspielen.«48
48 Charles Sealsfield, zit. n. Grete Wehmeyer: Carl Czerny und die Einzelhaft am Klavier oder Die Kunst der Fingerfertigkeit und die industrielle Arbeitsideologie. Kassel/Basel u.a. 1983, S. 95–96.
In diesem Tenor äußert sich auch die Musikpädagogin Johanna Kinkel in einem Briefessay: »Warum gerade die Musik eine so ausschließliche gesellschaftliche Mode geworden ist, begreife ich nicht. Ein gebildetes Haus, in dem kein Klavier stünde, gälte für eine Unmöglichkeit. [. . . ] Musikfreunde und Musikfeinde werden gleich empfindlich durch den Anblick eines geöffneten Klaviers mit zwei Lichtern darauf berührt, wenn sie einen Salon zur Erholung betreten. Dieses Musizieren zwischen der Unterhaltung ist eine auflösende Säure für das Gespräch.«49
49 Johanna Kinkel: »Musik als Mode (1852).« In: Eva Rieger (Hrsg.): Frau und Musik (= Die Frau in der Gesellschaft. Frühe Texte, hrsg. von Gisela Brinker-Gabler). Frankfurt am Main 1980, S. 48.

Erste Seite (i) Vorherige Seite (170)Nächste Seite (172) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 171 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik