Anekdoten über die Vergangenheit des
Bramford-Hauses setzen diese bedrückende Grundstimmung fort. Tatsächlich hat das
Labyrinth von Fluren und Fluchten des Dakota Buildings bald nach seiner Eröffnung im
Jahre 1884 ein merkwürdiges Eigenleben entwickelt. Von der exzentrischen Mieterin
»Miss Leo«, die in ihrem Wohnzimmer ihr Lieblingskutschpferd ausgestopft
aufstellen ließ, über einen angeblichen Poltergeist in den Kellerräumen des
Hauses bis hin zu einem geheimnisvollen Messerstecher, der vorübergehend die
Szenerie des Hauses beherrschte, ranken sich allerlei ominöse Geschichten um das
viktorianische Gebäude. Zahlreiche Prominente wie Elia Kazan oder Lauren
Bacall wohnten dort, 1980 wurde John Lennon vor der Eingangstür des Hauses
erschossen. Polanski macht sich diesen »gotischen Horror« in seiner Dramaturgie zu
eigen26:
Hutch suggeriert, daß vergangene – böse – Taten Spuren hinterlassen haben, eine
Konstellation, die auch der Literatur nicht fremd ist. Daß viele dieser Orte von
ehrwürdigem Alter sind, führte beispielsweise Joseph Conrad für die frühe Ära des
Schaueromans darauf zurück, daß Ruinen aus der Sicherheit einer Gegenwart betrachtet
wurden, in der die ursprünglichen Bewohner, Adel und Klerus, ihre Macht verloren
hatten; das Zerbröckeln der Gebäude korrespondierte mit dem Verfall ihrer
Herrschaft.27
Indem Hutch während seiner Bramford-Anekdoten Lamm serviert, erweckt Polanski
Assoziationen wie das »Lamm Gottes«, das während der Trent-Geschichte zu einem »schwarzen
Ritual« mutiert, in dem der typische christliche Symbolismus pervers in sich verkehrt
wird.28
Dies ist auch Polanskis dominante narrative Strategie während der Exposition und der
anschließenden Steigerung: er vermischt Alltagsbanalitäten mit symbolischen Details,
von denen die meisten aus Levins Roman stammen.
Der tänzelnd beschwingte Charakter der instrumental variierten Titelmusik während der anschließenden Renovierungsszene steht, so Schmidt, in unmittelbarer Beziehung zur Bildhandlung: die Wohnung erhält nun helle, freundliche Farben, die Grundstimmung ist optimistisch, die Handlung enthält viel Bewegung.29 Im dunklen Waschkeller (Szene 7) lernt Rosemarie Terry kennen, es fällt zum ersten Mal der Name Castavet. Polanski präsentiert dem Zuschauer eine Großaufnahme des silbernen Amuletts. Eine filmische Konvention: der Zuschauer soll auf der Hut sein, der Talisman könnte im weiteren Handlungsverlauf noch eine Bedeutung haben. Durch die dünne Zwischenwand hören Rose und Guy mysteriöses Gebetsmurmeln, begleitet von einer Flöte. Damit bleibt die finstere Grundstimmung erhalten. Polanski setzt in der Exposition subtile Anspielungen auf okkulte Praktiken in scharfen Kontrast zu einer von »säuberlicher Leere« charakterisierten amerikanischen Durchschnittsehe wie die von Rose und Guy, die ihre Ratschläge aus der Fernsehwerbung und Illustrierten beziehen. Terrys angeblicher Selbstmord – ihr Talisman hat als Glücksbringer ganz offensichtlich versagt (Szene 9) – bildet im dramaturgischen Verlauf das erregende Moment, das die lange Spannungssteigerung (Szenen 10 bis 64) einleitet. Hier lernen die Woodhouses auch die Castavets kennen. Roman Castavet erscheint als ein großväterlicher und besorgter Mann, mit einer altehrwürdigen Vornehmheit; Minnie hingegen verkörpert die geradezu vulgäre |