- 164 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Anekdoten über die Vergangenheit des Bramford-Hauses setzen diese bedrückende Grundstimmung fort. Tatsächlich hat das Labyrinth von Fluren und Fluchten des Dakota Buildings bald nach seiner Eröffnung im Jahre 1884 ein merkwürdiges Eigenleben entwickelt. Von der exzentrischen Mieterin »Miss Leo«, die in ihrem Wohnzimmer ihr Lieblingskutschpferd ausgestopft aufstellen ließ, über einen angeblichen Poltergeist in den Kellerräumen des Hauses bis hin zu einem geheimnisvollen Messerstecher, der vorübergehend die Szenerie des Hauses beherrschte, ranken sich allerlei ominöse Geschichten um das viktorianische Gebäude. Zahlreiche Prominente wie Elia Kazan oder Lauren Bacall wohnten dort, 1980 wurde John Lennon vor der Eingangstür des Hauses erschossen. Polanski macht sich diesen »gotischen Horror« in seiner Dramaturgie zu eigen26
26 Leaming 1982, S. 54.
: Hutch suggeriert, daß vergangene – böse – Taten Spuren hinterlassen haben, eine Konstellation, die auch der Literatur nicht fremd ist. Daß viele dieser Orte von ehrwürdigem Alter sind, führte beispielsweise Joseph Conrad für die frühe Ära des Schaueromans darauf zurück, daß Ruinen aus der Sicherheit einer Gegenwart betrachtet wurden, in der die ursprünglichen Bewohner, Adel und Klerus, ihre Macht verloren hatten; das Zerbröckeln der Gebäude korrespondierte mit dem Verfall ihrer Herrschaft.27
27 Baumann 1989, S. 328.
Indem Hutch während seiner Bramford-Anekdoten Lamm serviert, erweckt Polanski Assoziationen wie das »Lamm Gottes«, das während der Trent-Geschichte zu einem »schwarzen Ritual« mutiert, in dem der typische christliche Symbolismus pervers in sich verkehrt wird.28
28 Eagle 1994, S. 125.
Dies ist auch Polanskis dominante narrative Strategie während der Exposition und der anschließenden Steigerung: er vermischt Alltagsbanalitäten mit symbolischen Details, von denen die meisten aus Levins Roman stammen.

Der tänzelnd beschwingte Charakter der instrumental variierten Titelmusik während der anschließenden Renovierungsszene steht, so Schmidt, in unmittelbarer Beziehung zur Bildhandlung: die Wohnung erhält nun helle, freundliche Farben, die Grundstimmung ist optimistisch, die Handlung enthält viel Bewegung.29

29 Schmidt 1976b, S. 257.
Im dunklen Waschkeller (Szene 7) lernt Rosemarie Terry kennen, es fällt zum ersten Mal der Name Castavet. Polanski präsentiert dem Zuschauer eine Großaufnahme des silbernen Amuletts. Eine filmische Konvention: der Zuschauer soll auf der Hut sein, der Talisman könnte im weiteren Handlungsverlauf noch eine Bedeutung haben. Durch die dünne Zwischenwand hören Rose und Guy mysteriöses Gebetsmurmeln, begleitet von einer Flöte. Damit bleibt die finstere Grundstimmung erhalten. Polanski setzt in der Exposition subtile Anspielungen auf okkulte Praktiken in scharfen Kontrast zu einer von »säuberlicher Leere« charakterisierten amerikanischen Durchschnittsehe wie die von Rose und Guy, die ihre Ratschläge aus der Fernsehwerbung und Illustrierten beziehen. Terrys angeblicher Selbstmord – ihr Talisman hat als Glücksbringer ganz offensichtlich versagt (Szene 9) – bildet im dramaturgischen Verlauf das erregende Moment, das die lange Spannungssteigerung (Szenen 10 bis 64) einleitet. Hier lernen die Woodhouses auch die Castavets kennen. Roman Castavet erscheint als ein großväterlicher und besorgter Mann, mit einer altehrwürdigen Vornehmheit; Minnie hingegen verkörpert die geradezu vulgäre

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