Die Exposition (Szenen 1 bis 822 )
beginnt mit einem schweifenden Panoramablick über die Dächer von New York, der
schließlich über dem »Bramford-Haus«, d.h. dem Dakota Building, endet. Komedas
Titelmusik – als solche also tektonisch im Sinne von Maas – begleitet den weiten
Kameraschwenk, ein Wiegenlied im 3/4-Takt, das von einer naiv und mädchenhaft
wirkenden Frauenstimme gesungen wird – von Mia Farrow selbst. Es ist ein Singen an
sich, nicht ein Singen von oder über etwas. Roman Polanski schreibt hierzu in seiner
Autobiographie:
»Komeda komponierte für Rosemaries Baby zwei Wiegenlieder, die beide so
gut waren, daß wir uns lange nicht entscheiden konnten, welche der beiden
Melodien wir als Leitmotiv nehmen sollten. Wir wählten die wahrscheinlich
weniger kommerzielle, weil sie ganz einfach besser paßte. Gleich zu Beginn
des Films mußte sie gesummt werden, leise, unheimlich, und ich bat Mia,
dies zu tun, damit es dieselbe Stimme war wie später – ein wichtiger Faktor.
Sie entledigte sich ihrer Aufgabe mit Bravour, und schon beim Vorspann
ist ihre Stimme deutlich zu erkennen. Im übrigen hatte wieder einmal einer
meiner Filme durch Komedas wunderbar imaginative Musik eine zusätzliche
Dimension erhalten.«23
23 Polanski 1984, S. 238.
|
Wie bei den meisten Regisseuren sind auch Polanskis Aussagen zu der
Musik sehr unkonkret. Die »zusätzliche Dimension« bleibt ohne Erklärung.
Sehr viel aufschlußreicher sind hier hingegen die Ausführungen von
Schmidt:24
24 Hans-Christian Schmidt: »Wesensmerkmale und dramaturgische Funktion
der Musik in Roman Polanskis Film Rosemaries Baby.« In Schmidt 1976b,
S. 250–275.
|
eine ausführliche musikalische Analyse des Themas eröffnet dem Hörer Perspektiven
seiner emotionalen Erlebnisintensität. Auf die Analyse soll an dieser Stelle nicht näher
eingegangen werden. Hinsichtlich der Wirkung der Titelmusik ist jedoch seine
Zusammenfassung hervorzuheben. Sie enthält bereits Hinweise auf die Funktion des
Beethoven-Zitates:
»Was [...] auf den ersten Höreindruck hin sich wie ein Produkt gängiger
Unterhaltungsmusik darstellte, erweist sich bei näherem Hinsehen als eine
liedhafte Gestalt mit subtilen emotionalen Reizen, von denen die modale
Archaik, die mädchenhafte Stimme, die lastenden oder kreisenden Halbtonschritte
und die Ausweitung des musikalischen Raumes die wichtigsten sind. Diese
Titelmusik repräsentiert nicht nur eine heile Welt, sondern sie stellt vor
allem eine heile Welt von gestern dar, eine archaische, eine Welt des verträumten
und veralteten langsamen Walzers. Damit markiert die Titelmusik musikalisch,
stilistisch und darüber hinaus repräsentativ eine der polaren Positionen,
genauer: der polaren Grundbefindlichkeiten des Films.«25
25 Schmidt 1976b, S. 257.
|
Die Exposition stellt die für die Handlung wichtigen Personen vor: Rosemarie
Woodhouse, eine etwas naive junge Frau, streng erzogen und auf Ehrlichkeit bedacht;
gegenüber dem Hausverwalter berichtigt sie anstandslos Guys erlogene Angaben zu
seinem Beruf. Dieser erscheint denn auch hier bereits als ein ehrgeiziger Fabulant, der
anscheinend mit sich und seinem Beruf noch nicht so recht zufrieden ist. Darüber hinaus
schafft Polanski gleich eine düstere Grundstimmung: das Appartement ist zwar groß,
aber dunkel und noch immer überladen mit den antiken Möbeln der unter ominösen
Umständen verstorbenen Vormieterin. Hutchs
|