Baby »stehlen«, sind keineswegs
irgendwelche mysteriösen Figuren, sondern ältere Damen und Herren aus der
Nachbarschaft, die zwar auf den ersten Blick etwas unmodern, jedoch im
großen und ganzen recht normal erscheinen. Damit umgeht Polanski die dem
Horrorfilm oft vorgeworfene Simplizität des Genres. Vielmehr rückt er jenes
zweideutige Wechselspiel zwischen Mensch und Ungeheurem in die Nähe des
psychoanalytischen Horrorfilms, ja sogar des psychologisch-realistischen
Thrillers, dessen Horror aus einer sozial verbindlichen Realitätswahrnehmung
entspringt:16
16 Karsten Visarius: »Rosemary’s Baby.« In: Michael Töteberg: Metzler Filmlexikon.
Stuttgart/Weimar 1995, S. 501; vgl. auch Lucy Fischer: »Birth traumas: parturition and
horror in Rosemary’s baby.« Cinema Journal 31 (1992) 3–18.
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bis zum Schluß bleibt im Grunde offen, ob es sich tatsächlich um den leibhaftigen
Diabolus handelt oder ob die Ereignisse das Ergebnis der neurotischen Einbildung einer
von pränatalen Ängsten geplagten Schwangeren sind. Mit diesem Dualismus
spekuliert Polanski bewußt auf die Weckung verdrängter Ängste im Zuschauer, um
diesen ebenso in Panik zu versetzen wie seine Protagonistin, wobei hier ein Kind
bezeichnenderweise eine zentrale Rolle spielt. Insofern war Rosemaries Baby nicht nur
wegweisend, was das allgemeine Filmsujet betrifft, sondern auch in thematischer
Hinsicht.
Das Horrorgenre konzentriert sich nun auf das Kind als eine üble Kraft oder zumindest
als ein wichtiges Element im kosmischen Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und
Teufel. Filme wie beispielsweise Der Exorzist, Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen
(1973) oder Das Omen folgten diesem Beispiel. William Friedkin brachte Hollywoods
wiederentdecktes Interesse am Teufel auf den Punkt: »Es gibt nur drei Gründe, einen
Film zu drehen: die Leute zum Lachen oder zum Weinen zu bringen oder sie zu
erschrecken.«17
17 William Friedkin, ohne Quellenangabe, zit. n. Giesen 1990, S. 294.
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Letzteres war denn auch die Hauptaufgabe seines Films Der Exorzist, der die
Zuschauer nicht zuletzt deswegen so schockierte, weil die Hauptfigur, Regan, ein
zwölfjähriges Mädchen ist, das seine Mutter ebenso ordinär beschimpft wie den greisen
Exorzisten. Dieser Trend – das Kind als Verkörperung des Bösen – so deutet
Narducy an, könne eine kulturelle Reaktion auf die protestierende Jugend der
sechziger Jahre sein, Amerika könne seine Kinder nun als üble und destruktive Kraft
ansehen.18
In einer Veröffentlichung über die Krise des amerikanischen Selbstbewußtseins heißt es ähnlich:
»In (mehr oder minder) intakte Familien gutbürgerlicher Provenienz dringt das Böse, der Satan
ein, zerstört sie zumindest momentan, läßt unheilbare Wunden zurück. Daß er sich ausgerechnet
des Satans Nachwuchses bemächtigt, sich der Maske der kindlichen Unschuld bedient und
deshalb lange Zeit unschuldig bleibt, scheint mir dabei das Entscheidende: In diesem
religiös-mythologischen Kostüm satanischer Besessenheit wird die Rebellion der jungen Generation
thematisiert.«19
19 Kraft Wetzel: »Krise des amerikanischen Selbstbewußtseins. Konservative Gewalt und die Lust
am Untergang im US-Kino.« Kinemathek 54 (1977) 7.
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Hier muß allerdings angemerkt werden, daß die Jugendbewegung lediglich eine mehrerer
Bewegungen war, die das amerikanische Selbstbewußtsein in jenem Jahrzehnt erschütterten.
Rosemaries Baby avancierte sogleich zu einem modernen Klassiker seines Genres.
Weltweit soll der Film der Paramount 25 Millionen Dollar eingebracht haben, das
Zehnfache seiner Kosten. Weniger Anerkennung fand er hingegen bei der Katholischen
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