- 158 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (157)Nächste Seite (159) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

und Christus zugleich und glaubte an das Endgericht, das durch ihn und seine Anhänger herbeigeführt werden solle und das sich zugleich gegen das gesamte System der menschlichen Gesellschaft richten würde. Bei den sexuellen Kultorgien der »Final Church« wurden nicht nur Tiere, sondern auch Menschen geopfert, letztere auf bestialische Weise. Die Manson-Jünger schwärmten sogar aus, um außerhalb ihrer Gruppe »Opfer für den Satan« zu suchen und zu töten. Auf diese Weise geschah – genau acht Wochen nach der Premiere von Rosemaries Baby – in Hollywoods Nobelviertel Bel Air der tragische Ritualmord an Polanskis hochschwangerer Ehefrau Sharon Tate und ihren Gästen.7
7 Wenisch 1988, S. 29.

Die Thematik des Bösen in Polanskis Filmen, so stellt Eagle fest, beziehen sich sowohl unmittelbar auf die politischen, sozialen und kulturellen Strukturen, die das Leben in der zivilisierten Welt bestimmen, als auch auf die Geschichte unseres Jahrhunderts, ohne daß der Regisseur jedoch eindeutig Stellung bezieht. Die Tragödien, die seine Filme untermauern, sind dennoch als solche real und widerstehen in mancher Hinsicht jeder Vernunft. Wie man aus zahlreichen Interviews ersehen kann, steht es außer Frage, daß die obengenannte Thematik in Polanskis Filmen unmittelbar auf die persönliche Biographie des Regisseurs hindeutet. Es wäre jedoch an dieser Stelle müßig, sich mit der ganz offensichtlich komplizierten und problematischen Persönlichkeit des Regisseurs und Schauspielers Polanski auseinanderzusetzen.8

8 Vgl. hierzu Roman Polanski: Roman Polanski. Autobiographie. Bern/München/Wien 1984. Bereits der zweideutige Originaltitel Roman spielt mit der Fiktion der eigenen Identität.
Interessanter erscheint hier vielmehr die Tatsache, daß seine Erlebnisse sich mit denen anderer Menschen, besonders in Osteuropa, decken. Und dies erklärt ihre Allgemeingültigkeit: gemeint sind hier der Holocaust und die anschließende Periode autoritärer sowjetischer Fremdherrschaft. Insofern wurde die Basis für die Tendenzen seiner Arbeit – sowohl in struktureller, stilistischer wie auch thematischer Hinsicht – bereits vor den tragischen Ereignissen des Jahres 1969 gelegt.

Im Krakauer Ghetto erlebte der siebenjährige Polanski erstmals, wie Menschen ums Überleben kämpften, selbst wenn dies auf Kosten anderer geschah. Er wurde Zeuge blutiger Schlägereien und Exekutionen durch die Nationalsozialisten. Zwar setzte sich der Alltag fort, doch ursprünglich Banales mutierte nun plötzlich zu Grauenerregendem – eine Werteverschiebung, die zu einer normalen Tageserscheinung wurde. Diese Eindrücke brannten sich dem jungen Polanski geradezu fotografisch ins Gedächtnis ein. Die Folge: Blut und Gewalt, Terror und Einschüchterung erscheinen regelmäßig und meist vollkommen unerwartet in seinen Filmen.9

9 Ulrich Gregor: Geschichte des Films ab 1960. München 1978, S. 293.
Insofern sind seine Filme auch durchaus Beiträge zu einem Autopsychogramm. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Polanski Katholik, wenn auch kein bekennender. Zudem reagierte er mit äußerster Ablehnung auf autoritäre Nonnen und Priester, die ihn zu bekehren versuchten. Gott, so hebt Eagle hervor, spielte somit keine große Rolle in Polanskis Kindheit, dessen Präsenz sei demzufolge auch nicht in seinen Filmen zu spüren.10
10 Eagle 1994, S. 95; vgl. auch J. P. Telotte: »Polanski, Roman.« In: Lyon, Christopher (Hrsg.): The Macmillan Dictionary: Films and Filmmakers, Vol. II: Directors/Filmmakers. London 1984, S. 420.
Der Teufel als das personifizierte Böse hingegen ist stets zugegen – und dies nicht, weil Polanski an eine solche übernatürliche Erscheinung glaubt. In seiner Autobiographie äußert sich Polanski entsprechend zur Romanvorlage von

Erste Seite (i) Vorherige Seite (157)Nächste Seite (159) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 158 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik