waren und bis zu
einem gewissen Grade noch heute fortdauern«, so schreibt Michalek im Jahre
1973.93
93 Michalek 1973, zit. n. Kreimeier 1980, S. 26.
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Zur Entstehungszeit des Filmes weniger beachtet als heute – nach dem Scheitern
sozialistischer Botschaften – steht die spezifisch romantische Ironie in Wajdas Film. Und
die Ironie ist auch hier ein »vortrefflicher Chirurg« (Kierkegaard), um die Welt in
Wajdas Film zu analysieren. Damit ermöglicht er dem Publikum produktiv die
Möglichkeit der Reflexion, seine Ironie taugt, schon allein durch die schaurige
Darbietung der Polonaise, die Darstellung dieser Szene nicht einfach nur zu konsumieren.
So ist die Stunde Null oder das obligate Jahr eins niemals nur die Endzeit für das
System bisheriger Werte und Vorstellungen. Es ist nicht nur das als tragisch zu
bezeichnende Abtreten von alten Ideen und Zielen. Es war immer – und ist
auch heute noch die Hoch-Zeit des Opportunismus und des Karrierismus. Das
polnische Volk ist nicht mehr länger in Eintracht gegen den »gemeinsamen Feind«
verschworen, wie man es in zahlreichen Briefen Chopins nachlesen kann. Die
Nation spaltet sich vielmehr auf. So kunkeln hier die alten und neuen Herren,
ihre Umarmung ist letztlich eine wahrhaft tödliche und gespenstische, der Tod
Macieks löst diese Bedeutungsebene letztlich auf. So sind die Besten in dieser
Morgendämmerung entweder tot oder wie Krystyna empfindungslos, um es mit
Brills94
94 Ernie Brill/Lenny Rubenstein: »The best are dead or numb: a second look at Andrzej
Wajda’s Ashes and Diamonds.« Cineaste 11 (1981) 22–26.
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Worten zu formulieren. Weder Maciek oder Szczuka noch Krystyna werden irgendeine
Rolle in der zukünftigen Choreographie der neuen Republik Polens spielen. In diesem
Sinne erfüllt das Chopinsche Zitat in letzter Instanz auch die Rolle einer Klammer
zwischen Geschichte und Gegenwart, denn das Thema der polnischen Nationalität bzw.
des nationalen Traumas war im Jahre 1958 ebenso präsent wie im vergangenen
Jahrhundert. Damit distanziert sich Wajdas Film jedoch von jeglichem »illudierendem«
Potential (Brecht) der Musik, d.h. die Musik wird nicht als Medium genutzt, um
dem Zuschauer eine Traumwelt entgegenzusetzen – im Gegenteil: Chopin tritt
zunächst als Vertreter alter romantischer Ideale in die Dramaturgie des Films, um
speziell in dieser Szene von der Realität revidiert zu werden. Indem Wajda als
Vertreter seiner Generation Chopin in Anspruch nimmt, um – sich an der Zensur
vorbeizwängend – seine politische Aussage im Film zu formulieren, zeigt er nicht nur die
historische Dimension des Zitates auf, sondern wertet es zugleich als dramaturgisches
Mittel, um aktuell Stellung zu nehmen. Chopins Polonaise erfüllt somit sämtliche
Metafunktionen (Pauli). Die Polonaise der alten und neuen Gespenster spukt dauerhaft
durch den Geschichtsmechanismus. Sie ist für Wajda die unselige Konstante, der
Widerpart zum Diamanten der Hoffnung. Insofern stellt er die Geschichte Polens als
dynamischen Prozeß dar, dessen historische Problematik, wie sie in Form von Chopins
Polonaise formuliert wird, auch im Jahre 1958 noch Gültigkeit beansprucht
und darüber hinaus um die Dimension der politischen Gegenwart erweitert
wird.
8.4. Exkurs: Volker Schlöndorff: Die Blechtrommel
Ein Vergleich mit Volker Schlöndorffs Film Die Blechtrommel drängt sich hier auf.
Die familiären und politischen Veränderungen rund um die Familie Matzerath
bedeuten
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