vorzuziehen. Die
Notwendigkeit liegt für sie vor allem in der Verwendung neuer musikalischer
Mittel. Mit diesen kann Filmmusik ihre Funktionen sachgemäßer und besser
leisten als das zufällige musikalische Füllsel. In der Entwicklung der Neuen
Musik haben sich Techniken ergeben, die der wirklichen Technik des Films
entsprechen. Diese Techniken sehen Adorno und Eisler vor allem in den Werken von
Schönberg, Bartók und Strawinsky verwirklicht. Entscheidend sei hierbei nicht der
größere Reichtum an Dissonanzen, sondern einzig und allein die Auflösung der
konventionellen Musiksprache: alles ergibt sich aus den konkreten Anforderungen des
musikalischen Gebildes, nicht aus dem Schema. Musikalische »Sachlichkeit«
definieren Adorno und Eisler als »Zurückführung der Musik auf konstruktive
Notwendigkeit, die Tilgung von Klischee und Floskel«, worauf sich ihrer Meinung
nach die Praktiken im Hollywood-Film reduzieren. Sachliche Filmmusik zu
komponieren heißt demnach, bewußt aus der Sache – aus dem dramaturgischen
Zusammenhang – heraus die musikalische Haltung zu wählen, die notwendig ist,
anstatt sich von musikalischen Klischees oder Affekten treiben zu lassen, die
formelhafte Mittel zur Folge haben, die funktionsuntauglich, da verbraucht, sind. Eine
solche Rücksicht auf das Publikum verdirbt Filmmusik. Filmmusik, die sich aus
der Dramaturgie, aus dem Bild heraus rechtfertigt, ist sachlich, realistisch,
rational.13
13 Adorno/Eisler 1976, S. 39–40; vgl. auch Dominique Nasta: Meaning in Film. Relevant
Structures in Soundtrack and Narrative. Bern 1991, S. 43.
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So läßt sich auch Neue Musik als ein Prozeß von Rationalisierung einschätzen in
dem Sinne, daß jedes musikalische Element in seiner Notwendigkeit aus der
Konstruktion des Ganzen abgeleitet wird. Je beherrschbarer Musik durch ihre eigenen
Konstruktionsprinzipien wird, desto beherrschbarer wird sie auch für Zwecke der
Anwendung auf ein anderes Medium. Brößke kritisiert hier besonders, daß Adorno und
Eisler in diesem Zusammenhang die Definition von Musik als Bedeutungssystem völlig
ignorieren,14
14 Gabriele Brößke: »› ...a language we all understand.‹ Zur Analyse und Funktion von
Filmmusik.« In: Ludwig Bauer/Elfriede Ledig/Michael Schaudig (Hrsg.): Strategien der
Filmanalyse. München 1987, S. 10.
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obwohl sich dies für ihre Theorie von der am Bild ausgerichteten Filmmusik
geradezu aufdrängt. Lediglich an einigen Beispielen verdeutlichen sie Assoziationen
von Musik, die jedoch auf Konventionen beruhen. So assoziiert ein 4/4-Takt
mit der Betonung auf der 1 und der 3 gemäß der Musiktradition etwas
Militärisches oder Triumphales, der markierte 3/4-Takt eines Walzers assoziiert eine
durch nichts gerechtfertigte Lebensfreude. Verknüpfungen solcher Art, so die
Autoren, bewirken in der Filmmusik eines falsches Bewußtsein über die im
Film gezeigten Vorgänge. Aus diesem Grund lehnen beide Autoren auch den
Gebrauch von Zitaten autonomer Musik in der Filmmusik als »barbarischen
Unfug«15
15 Adorno/Eisler 1976, S. 25.
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strikt ab, da sie als »Titelware« begrifflich und semantisch »vorbelastet«
abrutscht in reine Klischeehaftigkeit, die falsche Assoziationen bewirken
kann.16
16 Vgl. Kap. 5.3, Das Zitat in der Filmmusik.
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Neue Musik hingegen verwehrt diese Art von Fehlinterpretation. Der Hörer wird
angeregt, die Szene in sich zu begreifen und sie untraditionell nicht nur zu hören,
sondern auch zu sehen. Neue Musik vermeidet modellhafte allgemein-assoziative
Konfigurationen durch ihre neue musikalische Form, ihre Harmonik sowie durch ihre
Polyphonie.
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