- 15 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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vorzuziehen. Die Notwendigkeit liegt für sie vor allem in der Verwendung neuer musikalischer Mittel. Mit diesen kann Filmmusik ihre Funktionen sachgemäßer und besser leisten als das zufällige musikalische Füllsel. In der Entwicklung der Neuen Musik haben sich Techniken ergeben, die der wirklichen Technik des Films entsprechen. Diese Techniken sehen Adorno und Eisler vor allem in den Werken von Schönberg, Bartók und Strawinsky verwirklicht. Entscheidend sei hierbei nicht der größere Reichtum an Dissonanzen, sondern einzig und allein die Auflösung der konventionellen Musiksprache: alles ergibt sich aus den konkreten Anforderungen des musikalischen Gebildes, nicht aus dem Schema. Musikalische »Sachlichkeit« definieren Adorno und Eisler als »Zurückführung der Musik auf konstruktive Notwendigkeit, die Tilgung von Klischee und Floskel«, worauf sich ihrer Meinung nach die Praktiken im Hollywood-Film reduzieren. Sachliche Filmmusik zu komponieren heißt demnach, bewußt aus der Sache – aus dem dramaturgischen Zusammenhang – heraus die musikalische Haltung zu wählen, die notwendig ist, anstatt sich von musikalischen Klischees oder Affekten treiben zu lassen, die formelhafte Mittel zur Folge haben, die funktionsuntauglich, da verbraucht, sind. Eine solche Rücksicht auf das Publikum verdirbt Filmmusik. Filmmusik, die sich aus der Dramaturgie, aus dem Bild heraus rechtfertigt, ist sachlich, realistisch, rational.13
13 Adorno/Eisler 1976, S. 39–40; vgl. auch Dominique Nasta: Meaning in Film. Relevant Structures in Soundtrack and Narrative. Bern 1991, S. 43.
So läßt sich auch Neue Musik als ein Prozeß von Rationalisierung einschätzen in dem Sinne, daß jedes musikalische Element in seiner Notwendigkeit aus der Konstruktion des Ganzen abgeleitet wird. Je beherrschbarer Musik durch ihre eigenen Konstruktionsprinzipien wird, desto beherrschbarer wird sie auch für Zwecke der Anwendung auf ein anderes Medium. Brößke kritisiert hier besonders, daß Adorno und Eisler in diesem Zusammenhang die Definition von Musik als Bedeutungssystem völlig ignorieren,14
14 Gabriele Brößke: »› ...a language we all understand.‹ Zur Analyse und Funktion von Filmmusik.« In: Ludwig Bauer/Elfriede Ledig/Michael Schaudig (Hrsg.): Strategien der Filmanalyse. München 1987, S. 10.
obwohl sich dies für ihre Theorie von der am Bild ausgerichteten Filmmusik geradezu aufdrängt. Lediglich an einigen Beispielen verdeutlichen sie Assoziationen von Musik, die jedoch auf Konventionen beruhen. So assoziiert ein 4/4-Takt mit der Betonung auf der 1 und der 3 gemäß der Musiktradition etwas Militärisches oder Triumphales, der markierte 3/4-Takt eines Walzers assoziiert eine durch nichts gerechtfertigte Lebensfreude. Verknüpfungen solcher Art, so die Autoren, bewirken in der Filmmusik eines falsches Bewußtsein über die im Film gezeigten Vorgänge. Aus diesem Grund lehnen beide Autoren auch den Gebrauch von Zitaten autonomer Musik in der Filmmusik als »barbarischen Unfug«15
15 Adorno/Eisler 1976, S. 25.
strikt ab, da sie als »Titelware« begrifflich und semantisch »vorbelastet« abrutscht in reine Klischeehaftigkeit, die falsche Assoziationen bewirken kann.16
16 Vgl. Kap. 5.3, Das Zitat in der Filmmusik.
Neue Musik hingegen verwehrt diese Art von Fehlinterpretation. Der Hörer wird angeregt, die Szene in sich zu begreifen und sie untraditionell nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Neue Musik vermeidet modellhafte allgemein-assoziative Konfigurationen durch ihre neue musikalische Form, ihre Harmonik sowie durch ihre Polyphonie.

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