- 14 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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»Vorurteile und Schlechten Gewohnheiten« verwerfen sie den an die Spätromantik angelehnten Sound des Hollywood-Stils, die vielzitierte und bei Filmkomponisten der Zeit beliebte Leitmotivik nach Wagner ebenso wie die auf romantischen »Stimmungszauber« ausgerichtete Wirkung von Filmmusik: »Indem Musik aufs Stichwort Natur einschnappt, wird sie auf die billigste Stimmungsmache reduziert, und die Assoziationsschemata sind so allbekannt, daß längst nicht mehr wirklich etwas ›illustriert‹, sondern nur der Gedanke ›aha Natur‹automatisch ausgelöst wird. Es ergibt sich bei dem illustrativen Einsatz der Musik heute eine schädliche Verdopplung.«10
10 Adorno/Eisler 1976, S. 22.

An dem Begriff der Filmmusik betonen Adorno und Eisler besonders nachdrücklich den Aspekt der Musik. Komposition ist für sie von der Sache her bestimmt, damit vom Film. Der Einsatz von Musik muß, so ihre Ausführungen, aus sachlicher Motivation erfolgen. Im Prinzip solle es im Film nicht darauf ankommen, um jeden Preis Musikstücke, beispielsweise auch Zitate der autonomen Musik, anzubringen, noch sollten Filmkomponisten durch musikalische Füllsel oder konventionell vorgezeichnete Kompositionen Stimmungsmache betreiben.11

11 Adorno/Eisler 1976, S. 131.
Den angeprangerten Romantizismen und konventionellen musikdramatischen Verfahrenstechniken des Hollywood-Stils, der im Grunde – realitätsfremd, da an die Spätromantik angelehnt – nur ein »emotionales Eingelulltsein« des Zuschauers bewirkt, setzen Adorno und Eisler die Neue Musik als einzige musikalische Alternative entgegen, die durch ihre »Sachlichkeit« Realität schafft. Sie schließt Expressivität jedoch nicht aus. Adorno und Eisler suchen vielmehr einen Legitimationsgrund, der die Zutat von Musik zum Film rechtfertigen soll, die für sie ihrerseits nicht wie bei Lissa von Natur aus dazugehört, da traditionell durch die Oper bestimmt; Filmmusik bedeutet für beide Autoren ein Zusammenschluß von zwei durch ihren Bezug zur Gegenwart als äußerst verschiedene, in sich eigenständige Sachen. Im Mittelpunkt steht daher weniger die funktionale Ergänzung von Film und Musik als die Erklärung der Relation von Film und Musik selbst: Filmmusik konstituiert sich aus der Montage zweier divergierender Medien. Der Montagebegriff, der das Spannungsverhältnis zweier entgegengesetzter Verhältnisse meint, geht hier zurück auf die Definition Eisensteins: die Montage ist das oberste Prinzip im Film. Musik muß als selbständiger Bestandteil in die Montage eingehen. Doch in der Frage der Realisierung gehen die Meinungen zwischen Adorno und Eisler auseinander. Während Adorno rein theoretisch im Sinne Eisensteins von einem antithetischem Verhältnis zwischen Musik und Bild in Form des Kontrapunkts ausgeht, bestätigte sich für den Komponisten Eisler die Unmöglichkeit, diese Theorie in die Praxis umzusetzen, an der einst auch Eisenstein gescheitert war. Eisler, auf Anwendung und Brauchbarkeit der Musik bedacht, gestaltete Musik zum Bild in der Form, daß sie eine subtile Synchronisation zum Bild anstrebt, sich diesem allerdings nie ganz unterwirft.12
12 Motte-Haber/Emons, S. 26.

Neue Musik ist für beide ein Garant für Sachlichkeit zwischen Film und Musik. Herkömmliche Filmmusik hingegen mache den gefilmten Kuß zum Titelbild eines Magazins, Naturstimmung zum Öldruck. Nicht nur um der »Zeitgemäßheit« willen ist für beide Autoren die Neue Musik als Filmmusik der konventionellen


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