die erneute
russische Fremdherrschaft auf. Indem Kotowicz zu Beginn alle politischen Parteien zu
einer »allgemeinen Eintracht« erklärt, demonstriert er damit sein Verlangen, dem
Banner Moskaus ein die Polen vereinendes Nationalbewußtsein entgegenzusetzen. Die
Tatsache, daß jene Eintracht jedoch nur noch im Alkoholrausch herzustellen ist, deutet
bereits die Kehrseite dieser Szene an. Der Enthusiasmus, mit dem Kotowicz
in der zweiten Einstellung mit »erregter Demonstration« (Liszt) die Kapelle
dazu anregen will, das Thema der Polonaise möglichst stolz und hoheitsvoll
zu präsentieren, erinnert an einen »Triumphmarsch im Dreivierteltakt« und
zeigt zugleich die Chopinsche Beschriftung: Kotowicz will die feurige Gestik der
Polonaise, den alten »Geist Polens« (Lotz), dem man vorher Loyalität schuldete,
gewaltsam heraufbeschwören. Chopins Polonaise avanciert in dieser Szene – dem
ursprünglich heroisch-dramatischen Impetus der Polonaise Rechnung tragend zu einer
(zweifelhaften) Nationalhymne für die abermals unterdrückten Polen. In dieser
Hinsicht formiert sich hier zunächst eine Art von nationalem Protest, der bereits
das Leben bürgerlicher und adeliger Salons in Warschau im 19. Jahrhundert
geprägt hat und in dessen Kreisen sich auch Chopin frühzeitig bewegt hat. So
wie Chopin in seinen Polonaisen seine polnische Identität bekräftigt sah, so
wollen auch Wajdas Protagonisten ihre Nationalität behaupten, indem besonders
Kotowicz durch seine Gestik und Mimik in ihr die »kämpferische Attitüde«
hervorhebt.
In semantischer Hinsicht beschriftet Chopins Polonaise die Szene ebenso eindeutig: Chopin hat auch im »Exil« in Paris stets das traurige Schicksal seines Landes beschäftigt, das für ihn – wie bereits erläutert – eine von seinem Gedächtnis verbürgte Welt bedeutete. Das Polen, das er somit in seinen Polonaisen beschreibt, ist das Resultat seiner eigenen geistigen Idealisierung, seines Wunschbildes. Die Polonaisen waren für ihn besonders nach dem Warschauer Aufstand ein Symbol für seine Heimat, für die stolze und kämpferische Erinnerung an den Ruhm vergangener Zeiten – man denke an dieser Stelle auch an die Anekdote von Sobieskis Türkensieg, die sich um die zitierte Polonaise rankt. Von seinen Erinnerungen an die alte Republik Polen zehrt auch der Portier des Hotels Monopol. Am Tag der Befreiung von den deutschen Besatzern begibt sich Polen in die nächste Abhängigkeit. Insofern kann Chopins Polonaise an dieser Stelle nur national-politisch verstanden werden. Wajda nutzt das Werk als politisches Essay – nicht umsonst hat er die A-Dur-Polonaise gewählt. Zum einen ist sie eine der bekanntesten Polonaisen Chopins, als solche leicht erkenn- und nachvollziehbar. Indem es sich um ein populäres Stück handelt, kann der Zuschauer darüber hinaus auch Dimension und Bedeutung gänzlich falscher Töne viel schneller erfassen. Zum anderen ist das Werk Sinnbild der charakteristischen Eigenschaften von Chopins Polonaisen: eine kämpferische Attitüde, ewiges Symbol des verlorenen Vaterlandes. Darüber hinaus vereinigt das op. 40 zwei Polonaisen miteinander, die Rubinsteins Charakterisierung zufolge eine Synonym für Polens Größe und seinen Untergang sind. So wie die Gesellschaft zunächst den vermeintlichen Ruhm ihres Landes zelebrieren (das überstrapazierte Pathos, das Niecks in seine Erläuterungen zur A-Dur-Polonaise legt, spiegelt sich in dieser Szene auf groteske Art und Weise wider), so naheliegend ist auch die Kehrseite des ganzen. Insofern vereinigt Wajda hier beide semantischen Ebenen des op. 40 in der A-Dur-Polonaise. Was Wajdas Gesellschaft hier mit schaurig falschen Tönen so salbungsvoll zelebriert, ist keineswegs »der Morgen des ewigen Sieges« |