- 140 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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dort lediglich revidiert hat, da er sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr der besten Gesundheit erfreute und es schwer vorstellbar ist, daß er in diesem Zustand ein Werk wie die A-Dur-Polonaise - stolz und vor Kraft nur so strotzend – komponiert hat. Auch Samson zieht aus einem Brief an Pleyel den Schluß, daß er sie bereits vor seiner Abreise nach Mallorca komponiert hatte.80
80 Samson 1996, S. 153.
Obwohl ihre Entstehung in eine Zeit fällt, die oft noch als eine Art Vorbereitungszeit für die berühmte As-Dur-Polonaise op. 53 charakterisiert wird, darf man sie doch zu den wohl bekanntesten Polonaisen des Komponisten zählen. Ursprünglich Chopins Freund Tytus zugedacht, widmete der Komponist sie schließlich Julius Fontana. Um die Entstehung des Werkes rankt sich so manche Anekdote. So soll Chopin hier auf König Johann Sobieskis Türkensieg vor Wien im Jahre 1683 Bezug genommen haben,81
81 Lotz 1995, S. 72.
was – wie bereits erwähnt – für die Bedeutung der nationalen Färbung dieser Polonaise jedoch letztlich unerheblich ist, da Chopin hier keine Programmusik geschrieben hat. Wie der polnische Maler Kwiatkowski erzählte, soll Chopin, als er diese Polonaise eines Abends spielte, dermaßen von ihre nationalen Idee hingeschmolzen sein, daß er eine Vision hatte: ein langer Festzug polnischer adeliger Damen und Herren betrat sein Zimmer. Diese Phantome erschienen dem Komponisten so real, daß er vor lauter Schreck fluchtartig sein Zimmer verließ und sich während der ganzen Nacht nicht mehr traute, es zu betreten.82
82 G. C. Ashton Jonson: A Handbook to Chopin’s Works. London o.J., S. 216.
Diese Geschichte wird auch häufig in Zusammenhang mit der berühmten As-Dur-Polonaise op. 53 erzählt. Sie zeigt jedoch, welch großen Stellenwert die nationale Bedeutung der Polonaise auch für die Nachwelt hatte. So ist die Polonaise A-Dur die erste der beiden Polonaisen op. 40. Die zweite steht in c-Moll. Ein größerer Kontrast zwischen diesen beiden Werken sei kaum zu denken, so merkt Niecks an.83
83 Friedrich Niecks: Friedrich Chopin als Mensch und als Musiker, Bd. II. Leipzig 1890, S. 268.
Seine Gegenüberstellung beider Werke hat jedoch einen allzu pathetisch strapazierten Beigeschmack: »In der ersten (A-Dur) ist der Componist von einem einzigen erhebenden Gedanken erfüllt – er erblickt die tapfer heransprengende Ritterschaft Polens, Entschlossenheit in jedem Blick, in jeder Bewegung; er hört um sich her das Stampfen der Rosse, das Klirren der Waffen, die kühnen, dem Feinde in verächtlichem Tone hinüber geschleuderten Herausforderungen. In der zweiten (C-moll) dagegen wird der Geist des Componisten von einem trostlosen und verzweifelnden zum anderen getrieben – er scheint das Unglück seiner Nation, ihre dumpfe Trauer, ihre zornmüthige Erregung von verschiedenen Gesichtspunkten aus schildern zu wollen.«84
84 Niecks 1890, S. 268.

Auch Rubinstein charakterisierte beide Werke als ein Synonym für Polens Größe und seinen Untergang. Die Gegensätzlichkeit beider Werke entspricht Hunekers Einschätzung, nach der man in Chopins Polonaisen zwei gänzlich verschiedene Gruppen vorfindet. In der ersten herrscht die »objektiv kriegerische« Seite vor – wie hier in der A-Dur-Polonaise. In der anderen ist Chopin der »trübe, trauernde und trostlose« Tondichter.85

85 Huneker 1917, S. 264.

Einfache Melodik, der gleichmäßige, punktierte vitale – typisch polnische Polonaisenrhythmus, ein fast schon starres Grundzeitmaß, das sich zuweilen zu Triolen


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