und Volk« sich ergänzen, so daß man von dem (Ton-)Dichter auf
das Volk und umgekehrt aus dem Charakter der Nation auf die Worte des
Dichters schließen konnte. Für Schumann waren Volkslieder eine Fundgrube von
Melodien, die den Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen öffnen.
Insofern begrüßte er, wie sich die polnische Musik – Volksliedgut und polnische
Nationaltänze – sowie die europäische Musikgeschichte in der Person Chopins
vereinigten.76
76 Hans Pischner: »Die Bedeutung Chopins für Robert Schumann.« In: Lissa 1963, S. 364;
vgl. auch Joachim Moser: »Chopin stilkundlich betrachtet.« In: Lissa, 1963, S. 709.
Dennoch sollte man Schumanns überschwengliches Lob, das er für Chopin übrig hatte,
nicht überbewerten. Chopin gehörte nicht den extrem nationalistischen Kreisen der
Emigranten an und ließ sich auch nicht in die Rolle eines politischen Bannenträgers
drängen. Daß Schumann die Bedeutung Chopins so überspitzt formulierte,
kann auch mit der Tatsache zusammenhängen, daß er als Gründer der Neuen
Zeitschrift für Musik und Kämpfer für eine neue individuelle, von der Literatur
inspirierte Ausdrucksästhetik der Kunst in Chopin einen Verbündeten sah, da er
in diesem den Vertreter polnischer Volkskunst erblickte. Dieses Interesse war
jedoch nur einseitig und wurde von Chopin nicht erwidert; vgl. auch Winfried
Kirsch: »Robert Schumanns Chopin-Bild.« Neue Zeitschrift für Musik 4 (1978)
195–200.
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Zwar mögen Begriffe wie Ruhm und Patriotismus heute verdächtig wirken, so hatten sie
für Chopin einen anderen Stellenwert. Denn das Nationale war, zumindest in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, noch nicht so unheilvoll nationalistisch eingefärbt, daß aus
diesem Selbstbewußtsein Hochmut und aus Abgrenzung Aggression wurde. Wenn der
Pole Chopin in seinen Polonaisen vom Ruhm seines Landes »erzählte« und seinen
Patriotismus feierte, so berührte er seine Landsleute damit weitaus mehr als
die verbotenen Aufrufe von Widerstandszirkeln. In dieser Hinsicht agierte er
als eine Art musikalisches Sprachrohr und Aushängeschild seines Landes mit
der Formulierungskunst eines Franzosen. Insofern entsprach Chopin bei der
Funktion seiner Polonaisen wie die meisten Komponisten seiner Zeit der an
Kant anschließenden Ästhetik: die Künstlerästhetik als Selbstreflexion und die
subjektive Rezeptionsästhetik als Erlebniswertung bestimmten die allgemeine
Musikauffassung. Obwohl die Polonaise bereits im 17. und 18. Jahrhundert ein
politisch motivierter und repräsentierender Tanz war, so war es doch letztlich
Chopin, der diese Tanzform mit einem Nationalismus erfüllte – und zwar in den
Werken, die er seit 1831 komponiert hatte – der bis heute seinen Widerhall
findet.77
77 Siepmann 1995, S. 186.
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Seine immense Bedeutung bei der Geschichte dieser Gattung zeigt sich in der Tatsache,
daß sie sich nach Chopin gleichsam erschöpft hat. Niemand konnte dem Komponisten
auf diesem Gebiet gleichkommen, geschweige denn ihn übertreffen, so daß es nur wenigen
gelang, diese Linie fortzusetzen.
Die im Film zitierte Polonaise A-Dur op. 40 Nr. 1 entstand in den Jahren 1839/40. Sie ist
auch unter dem Untertitel »Militärische« bekannt und bildet eine Art Triumphmarsch im
Dreivierteltakt.78
78 Lissa 1973, S. 823; vgl. auch Chominski 1980, S. 128.
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In ihr spiegelt sich die optimistische Seite von Chopins patriotischen
Gefühlen; sie repräsentiert einen europäischen Blick auf das heroische
Polen.79
Nicht zufällig ist es die am häufigsten für Orchester transkribierte Polonaise Chopins. Da
Chopin das Werk in seinen Briefen von Mallorca häufig erwähnte, nahm man
ursprünglich an, er hätte diese Polonaise wie die zweite in c-Moll op. 40 dort
geschrieben. Doch Niecks deutet bereits an, daß Chopin sie
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