zu den Préludes oder
den Mazurken vergleichsweise spärlich. Hinzu kommen eine Polonaise-Fantasie (op. 61),
drei postum veröffentlichte Polonaisen (op. 71) sowie sechs Werke ohne Opuszahlen, von
denen die meisten früh entstanden sind. Die Darstellungen zu Chopins Polonaisen sind
sich im Wortlaut recht ähnlich. Einigkeit herrscht vor allem in dem Punkt ihrer
Bedeutung. An dieser Stelle sei auf eine Aussage Fellerers verwiesen: »Die schöpferische
Entstehung des Musikwerks ist ein psychologischer Vorgang, verwurzelt in der
individuellen Persönlichkeit des in seiner Zeit geprägten Komponisten. Diese ist in ihrer
geistigen Haltung in ihrer Gesellschaft, ihrem Lebenskreis und ihrer Kultur [. . . ]
begründet.«69
Wie bei jedem Komponisten, traf dies auch auf Chopin zu. Nach einigen frühen
Polonaisen in den zehner und zwanziger Jahren interessierte er sich erst ab dem Jahre
1831 – nach dem Warschauer Aufstand – wieder für diese Gattung. Seine Einstellung
dazu hatte sich zu diesem Zeitpunkt grundlegend gewandelt. So schreibt Samson
beispielsweise:
»Diese Tanzform wurde für den an Heimweh leidenden Exilpolen zu einem
sinnfälligem Symbol für seine Heimat und ganz besonders für das unterdrückte
Land. Die vertrauten rhythmischen und melodischen Formeln bildeten die
Brücke für eine stolze, mitunter kämpferische Erinnerung an den vergangenen
Ruhm Polens. Die Polonaise, die nun nicht länger ein konventionelles Vehikel
für polnisches Lokalkolorit war, diente fortan - mal sanft, mal trotzig –
zum Ausdruck und zur Bekräftigung nationaler Identität. Während des 19.
Jahrhunderts wurde sie sowohl in der Heimat als auch im Ausland von den
Polen in diesem Sinne aufgefaßt: als ein Symbol des nationalen Kampfes,
das dazu beitrug, den Geist Polens in einer Zeit zu festigen, da dieses Land
politisch sozusagen nicht existierte.«70
70 Jim Samson: Frédéric Chopin. Stuttgart 1991, S. 144; vgl. auch Jim Samson: The Music
of Chopin. London 1985, S. 103–104.
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In Chopins Briefen, so Samson, gebe es sogar Hinweise darauf, daß er bestimmte
historische Assoziationen mit seinen Polonaisen verband, so etwa ruhmreiche Ereignisse
aus der polnischen Geschichte, was sich in die obengenannte Idealisierung Polens
in Chopins Erinnerung zudem einfügen würde. Tatsache ist jedoch, daß der
beliebte Nationaltanz bei Chopin eine ganz neue Bedeutung gewann, indem er
folkloristische Elemente in Polens Musik zu einer Darstellung des Monumentalen
umformte.
Chopin ist einer der ersten Komponisten, deren Werke auch politisch verstanden werden.
Die Polonaisen boten ihm eine Möglichkeit, sich mit politischer Zielrichtung zu äußern. Sie
stellten für Chopins Landsleute das »Lied von Ruhm, Sieg und Niederlage, von Trauer
und Glück« dar. »Herrischer Stolz, eine kämpferische Attitüde, das melancholische Melos
der Rückbesinnung, feurige Gestik der Lebensfreude, stoische Würde im Untergang«,
»ewiges Symbol des verlorenen Vaterlandes« oder »dichterische Antwort auf die nackte
Gewalt«71
71 Lotz 1995, S. 72; vgl. auch Camille Bourniquel: Frédéric Chopin in Selbstzeugnissen
und Dokumenten. Hamburg 1959, S. 126–127.
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– nur einige der Schlagwörter, mit denen Lotz und Bourniquel Chopins Polonaisen
charakterisieren. Obwohl diese gerade einmal in vier Opera zusammengefaßt
sind, verkörpern sie doch die nationale Identität eines staatenlosen Volkes.
Pointiert gesagt: während Chopin in den Mazurken ein ganz persönliches Tagebuch
über seine polnische Heimat führt,
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