- 129 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (128)Nächste Seite (130) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

der ersten polnischen Komponisten, die Aufstandslieder- und märsche schrieben. Seine einzige Oper entstand als Geschenk für Bonaparte, in dem er eine gewisse Zeit lang den Befreier Polens sah. Wie Lissa schreibt, wurde Oginskis Werk lange unterschätzt. Erst im 20. Jahrhundert weckte er das Interesse von Historikern der polnischen Musik auch für seine Rolle innerhalb des polnischen empfindsamen Stils.39
39 Alina Nowak-Romanowicz: »Michal Kleofas Oginski.« In: Stanley Sadie (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Vol. 13. London 1980, S. 518; vgl. auch Zofia Lissa: »Oginski, Fürst Michal Kazimierz und Michal Kleofas.« In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschiche und Gegenwart, Bd. 9. Kassel/Basel/London u.a. 1961, S. 1910–1912.

Krystyna ist in dieser Szene Teil eines magischen Kreises aller Charaktere geworden, die in trancegleicher Eintracht zu Oginskis Polonaise unter den Spinnweben des verkommenen Hotels Monopol im wahrsten Sinne des Titels ihren Abschied von Polen feiern. Wajda nutzt wiederum die Kraft der Bilder, denn die schreitenden Damen und Herren scheinen sich im Hintergrund des Bildes im Nichts aufzulösen – wie die Gesellschaftsschicht, der sie angehören. Der Erinnerung des Betrachters prägt sich diese Szene wie ein surrealistisches Traum- oder Rätselbild ein. Wajda schafft durch derartige Bezüge zur Musik und Literatur des 19. Jahrhunderts eine Art Mosaik, in das sich Asche und Diamant quasi als Konsequenz historischer Fakten einfügt. Untermauerte er seine Dramaturgie bereits durch den Dichter Norwid, so wird die Anspielung auf das Thema Polen hier noch deutlicher. So wie Oginski als Vertreter einer national eingestellten Aristokratie die Teilung Polens in seinem Werk thematisierte und 1815 das Land verließ, so sucht auch Wajdas Aristokratie ihren Weg ins Ausland. Sie feiert hier ihren Abschied von der Republik Polen, die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges aufgelöst wurde und nun letztlich im Banner Moskaus steht. Oginskis Polonaise dient hier als nationales Symbol, denn der Komponist ist Ausdruck der nationalen Gesinnung in einem Land, das Ende des 18. Jahrhunderts durch Fremdmächte erstmals aufgeteilt wird. Doch als Regisseur der Polnischen Schule beläßt Wajda es nicht beim reinen Vergleich. Die Geschichte ist ein dynamischer Prozeß, aus dem er schöpft, um seine eigentliche Aussage zu formulieren. Der kritische Kommentar aus Sicht der fünfziger Jahre schwebt über der ganzen Szene. Obwohl auch Oginski das Land verließ, gilt er dennoch als einer der »Vorboten« des nationalen Stils in der polnischen Musik. Das Thema Polen ist in seinen Werken ebenso mit dem Thema des Aufstandes gegen die ersten Teilungen verbunden. Doch nach der vierten Teilung sieht die Geschichte anders aus: der nationale Geist des Frühromantikers erstarrt bei Wajdas Aristokraten zu einem nostalgischen Relikt und weicht letztlich der Resignation, denn mit Oginskis Polonaise zelebriert die nationale Rechte - das Bürgertum, die Aristokraten – nicht nur ihren Abschied von Polen, sondern auch ihren Rückzug aus der Geschichte. Die Zeiten behäbiger Saloneleganz und blaublütiger Beschaulichkeit sind endgültig vorbei, Moskaus Parteifunktionäre rücken nach. So leichenhaft und starr Oginskis Polonaise jene Aristokraten zunächst im Kreis führt, so erstarrt bleiben diese auch in ihren überholten Wertevorstellungen. Sie sind nicht in der Lage, auf das neue politische Klima im Lande zu reagieren. Sie verharren lieber in der Sphäre verstaubter Saloneleganz und feiern ihren Abschied in romantischer Verklärtheit. Den einzigen Ausweg sehen sie in der Emigration. Die Szene trägt somit alle Merkmale einer Allegorie: hier gilt es offenbar, so führt auch Kreimeier aus, ein nationales Trauma zu ergründen, zu seinen geschichtlichen Wurzeln vorzustoßen.40

40 Kreimeier 1980, S. 29.
In der Monotonie der

Erste Seite (i) Vorherige Seite (128)Nächste Seite (130) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 129 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik