- 127 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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liegen in Schutt und Asche, von Wajda besonders eindringlich dargestellt durch die Christusfigur, die kopfüber im Windzug leicht hin- und herpendelnd ins Bild hineinragt. Macieks Gespräche mit Krystyna erweisen sich als erster deutlicher Versuch, seine Situation zu objektivieren, indem er sich fragt, ob er größere Freiheit erlangen wird, wenn er sein Leben ändert, ob er daran zugrunde geht oder ihm »auf der Asche Grund ein Diamant leuchtet«. Der Diamant ist Krystyna. Sie bewirkt in Maciek den Wunsch nach Veränderung. Die Trümmer der Kapelle lassen jedoch bereits die Aussichtslosigkeit solcher Zukunftsperspektiven des Helden erahnen. Damit umkreist Wajda ein weiteres konstantes und »existentielles« Grundmotiv, die Verbindung von Liebe und Tod.

Die Dimension des politischen Konflikts spannt Wajda in der nächsten Szene weiter, als er Szczuka bei einer ruhigen privaten Gedenkfeier mit seinem kommunistischen Freund Podgorski zeigt (Szene 21). Dieser spielt Szczuka auf einem alten Grammophon eine Platte mit Liedern der Revolutionäre des Spanischen Bürgerkrieges vor, die jene seichte Unterhaltungsmusik aus dem Festsaal übertönen. Wiederum erhalten diese Kriegslieder die Dimension eines politischen Symbols, eines ideologischen Spiegels, denn in Szczuka werden Erinnerungen an seine Zeit in Spanien wach, die seine politische Orientierung bis heute geprägt hat. Bezeichnenderweise ist in dieser Szene eine Art innerer Verwandtschaft zu spüren mit der privaten Gedenkfeier von Maciek und Andrzej. Jene Grundhaltung, mit der die beiden Freunde bei dem Lied Roter Mohn am Monte Cassino ihrer alten Kriegskameraden gedenken, ist mit der dieser beiden Kommunisten vergleichbar. Auf diesem Wege charakterisiert die Musik die Vergangenheit der handelnden Personen. So wie Maciek und Andrzej sich von den Kleinbürgern und Aristokraten distanzierten, die sich im Nebenraum um die Sängerin geschart hatten, so lehnen auch diese beiden Herren den Kontakt zu ihnen ab.

Macieks Zuneigung Krystyna gegenüber läßt ihn an seinem Vorhaben, Szczuka umzubringen, zweifeln. Er erweist sich hier, dem Höhepunkt der Dramaturgie zustrebend, endgültig als differenzierter, zwiespältiger Charakter der Polnischen Schule, der sich hoffnungslos zwischen den Fronten von Pflichterfüllung und persönlicher Verwirklichung verirrt hat. Seine Identität zerbricht letztlich daran. Damit ist Macieks ausweglose Situation geschaffen. Er erweist sich als »tragische Figur«, weil er hin- und hergerissen ist zwischen der Loyalität gegenüber der Armia Krajowa, dem Eid, der ihn noch an das Vergangene bindet, und seinem Gewissen, das ihm die Absurdität dieses Auftrages ins Bewußtsein ruft, sowie dem Wunsch nach einem neuen Leben – ein persönliches Schicksal auf der Folie der nationalen Tragödie, in der er als Prüfstein und Katalysator einer neuen Entwicklung agiert, bei der Ideologien ins Wanken gekommen sind.

Der ideologische Graben zwischen der AL und AK hat für Wajda die Ausmaße einer nationalen Tragödie, die tragische Ironie ist sein stilistisches Mittel. Diese wird auf dem Höhepunkt (Szene 25) der dramaturgischen Entwicklung deutlicher denn je: Maciek verfolgt Szczuka auf dessen Weg zu seinem Sohn und erschießt ihn. Hier findet sich ein bitteres Symbol für den Bruderkrieg: Szczuka, tödlich getroffen, klammert sich sterbend an dem entsetzten Maciek fest und sinkt seinem Mörder schließlich in die Arme. Für ein paar Sekunden verharren beide, Attentäter und Opfer, in einer paradox sinnfälligen Pose brüderlicher Solidarität. Eine


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