- 124 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (123)Nächste Seite (125) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

nur mit visuellen Mitteln dargestellten Handlungszweig. Dieser Kunstgriff, so Lissa, leite sich »genetisch« aus der einfachen Repräsentation des im Bild nicht gezeigten Raumes her. An dem Lied Roter Mohn am Monte Cassino wird deutlich, daß Filmmusik meist mehrschichtig funktioniert, sie kann selten auf eine einzige Funktion festgelegt werden. Obwohl es fragwürdig erscheint, ob der Zuschauer heute die Assoziationen der Filmhelden sofort erfassen kann, so ist es dennoch eine dramaturgische Tatsache, daß zumindest die Assoziationen der beiden beteiligten »Parteien« im Film vergleichbar sind.

Der Film macht sich die polnische Tragödie nicht leicht. Er nennt Kommunisten, Reaktionäre, Opportunisten und die Unpolitischen beim Namen. Er kennt sie genau und schenkt ihnen nichts. So wie er bisher durch Maciek und Szczuka jene beiden konträren politischen Positionen dargestellt hat, so charakterisiert Wajda nun anhand von Drewnowski und Pienazek deren Umfeld (Szenen 14 und 16). Es sind Menschen, die aus dem politischen und sozialen Umbruch ebenso wie der Held des Films ihre eigene persönliche Lektion beziehen. Drewnowski ist der Sekretär des neuernannten Ministers Swiecki; ein karrieresüchtiger Emporkömmling und Mitläufer, der es sich mit keiner der beiden Seiten verderben will. Der Redakteur Pienazek dagegen ist ein Vertreter der alten bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die an diesem Tag zu Ende geht. Er hat für die alte Zeit geschrieben und biedert sich nun der neuen an. So wie jene Aristokraten unfähig sind, auf die gesellschaftlichen Umbrüche zu reagieren und schleunigst das Land verlassen wollen, so unfähig erweist sich auch Pienazek. Er ertränkt seinen Weltschmerz im Alkohol. Wajda rückt die dramaturgische Anlage des Films in diesen Szenen in die Nähe der Tragikomödie. Wajda betreibt hier eine systematische Gesellschaftsanalyse. Entsprechend fällt die musikdramaturgische Gestaltung aus: leichte Unterhaltungsmusik ist allen Szenen unterlegt, die im Hotel Monopol spielen. Wajda über die Strategie seiner Musikauswahl: »Bei meinen Filmen – bei denen ich eine Gesamtvision hatte und mir meiner Ziele bewußt war – wußte ich im voraus, welche Musik die Geschichte am besten unterstützen würde. Bei Asche und Diamant genügten einfache »Ohrwürmer« der Zeit, die bis in die Hotelzimmer und das Restaurant drangen, wo die entscheidenden Filmszenen spielten.«35

35 Andrzej Wajda: Meine Filme. Zürich 1987, S. 90.

Wajdas Worte sind nicht so recht eindeutig. Zweifellos ist die Darstellung der Gesellschaft in Asche und Diamant Teil seiner Gesamtvision, was in jenen einschlägigen Szenen im Hotel Monopol deutlich wird. Wenn er alle Szenen in seichte Unterhaltungsmusik taucht, so könnte dies darauf hinweisen, daß er die Aussage der Szenen, in denen er eine gesellschaftliche Totalschau liefert, durch eine allzu aufdringliche Musikauswahl nicht gestört sehen will; also beläßt er es bei einer seichten Untermalung, die nicht so sehr auf eine semantische Interpretation drängt. Andererseits – und dies erscheint angesichts der übrigen sorgfältigen Musikauswahl wahrscheinlicher – sollte man jenes von Adorno und Eisler verurteilte »Hintergrundfüllsel« nicht unterschätzen, denn mit solchen »Ohrwürmern« garantiert Wajda dem Zuschauer einen leichten Wiedererkennungswert. Es ist diese Art von Unterhaltungsmusik, zu dem sich das Bürgertum der vierziger Jahre amüsierte


Erste Seite (i) Vorherige Seite (123)Nächste Seite (125) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 124 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik