- 122 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Die folgende Wochenschau benennt im nachhinein den historischen Schnittpunkt, den Wajda für seinen Film gewählt hat: es ist der 8. Mai 1945. Mit diesem Datum definiert er das Grundprinzip seines Werkes als tragische Ironie. In Polen kann man sich nicht einmal an diesem Tag irgendeiner Illusion hingeben. Polen steht vor der Aufgabe, im Einklang mit einer tiefgreifenden sozialen Umwälzung seine jahrhundertelange geschundene nationale Identität wiederherzustellen. Gerade daran – und dies zeigte die vorherige Szene – werden die Polen bereits kurz nach Kriegsende gehindert. Der sozialistische Aufbau, dominiert von den Interessen Moskaus, grenzt die vorwiegend national gesinnten Kräfte aus. Der »Bürgerkrieg« ist vorprogrammiert, die arbeitende Bevölkerung steht zwischen den Fronten und muß sich gegen ihren Willen für eine Seite entscheiden. Maciek erscheint hier als überzeugter Kämpfer »seiner Sache«. Im Krieg hat er nur das Töten und das Gehorchen gelernt und bleibt auch dabei, als die Friedensglocken läuten.

Das Motiv der Liebe führt Wajda in Gestalt des Barmädchens Krystyna ein (Szene 5). Sie verkörpert im dramaturgischen Verlauf zugleich das erregende Moment, den dramatischen Konflikt in der Tragödie auslöst und sozusagen den zweiten Akt einleitet. Der Konflikt entfaltet sich in Maciek, der später erste Zweifel am Sinn seines »politischen Kampfes« hegt. Doch zunächst beläßt es Wajda bei einer ersten koketten Begegnung zwischen den beiden. Hier erweist sich Maciek mehr denn je als jugendlicher Draufgänger. Von dem fanatischen Killer Maciek ist in dieser Szene nichts zu bemerken. Wajda charakterisiert ihn als einen äußerst sprunghaft nervösen Menschen, der sich von den Ereignissen treiben läßt, sich dem Schicksal hingibt, ohne je darüber nachzudenken.

Mit der sechsten Szene, in der das mißglückte Attentat offenbar wird, beginnt die Steigerung der Handlung (Szenen 6 bis 24). Macieks Konflikt zwischen Pflichterfüllung der politischen Untergrunddoktrin und ihrer Sinnhaftigkeit wird aufbaut. In Szene 10 besucht Szczuka seine Schwägerin Katharina. Wieder einmal stößt Wajda den Zuschauer jene gegensätzlichen politischen Positionen: auf der einen Seite ist die bürgerliche Teegesellschaft, deren Gastgeberin Katharina sich als Befürworterin der Armia Krajowa entpuppt, die jedoch wie ihre Gäste zu den letzten Vertretern der polnischen Aristokratie gehört, die jenen »alten Zeiten« nachsinnen. Wajda gibt sich auch hier wieder äußerst ironisch, denn Katharina und ihre Gäste vertrauen darauf, daß Menschen wie Waga, Andrzej oder Maciek die »alte Ordnung« wieder herstellen, gleichzeitig bereiten sie und ihre Freunde bereits ihre Abreise aus Polen vor. Katharinas Wohnung ist ein aussagekräftiges Aushängeschild ihrer sozialen Schicht, denn in jeder Einstellung erfaßt die Kamera die verstaubten Reste eines feudalen Salons: ein silbernes Teeservice, Degen, ein schwerer in Patriotismus getränkter Ölschinken an der Wand, der ihren Mann in antiquierter Siegerpose zeigt, alte wuchtige Möbel, mit denen die Wohnung bis zur Decke vollgestopft ist – eine fotografierte Reliquiensammlung des 19. Jahrhunderts, die Abschied und Melancholie ausstrahlt und die überholte Nonchalance der beschaulich-behäbigen Aristokraten zwischen Rausch und Trümmer positioniert. Mit der Charakterisierung dieser Teegesellschaft folgt Wajda wiederum seiner romantischen Ader, denn es handelt sich um Hinterbliebene einer aristokratischen Gesellschaftsordnung, die das ganze Leben als einen einzigen Müßiggang belangloser Kleinigkeiten betrachten. Diese Schicht hat ihren Ursprung in der Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts


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