- 121 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Blumen. Der junge smarte Maciek, der eben noch träge in der Sonne döste, wird im nächsten Moment zum schonungslosen Killer: ein politischer Mord in einer friedlichen Frühlingslandschaft, Wajda nutzt die Kraft seiner Bilder. Er gestaltet die Handlung – dem Genre des Gangsterfilms Rechnung tragend – sehr dicht. Der Feuerüberfall auf den Jeep ist dramatisch und temporeich inszeniert, wenn auch für den heutigen Geschmack ein wenig zu effektbeladen. Das letzte Opfer stürzt mit pathetischer Geste vornüber in die Kapelle. Enervierender Ton: Lerchengezwitscher. Das Profil der Szene ist keineswegs glatt, die Erschießung der beiden Männer kein homogener Vorgang. Vielmehr setzt Wajda die Einzelaktionen sorgfältig voneinander ab: die Frühlingslandschaft, die aussichtslose Flucht des zweiten Opfers, die slapstickhafte Charakterisierung des Spähers Drewnowski. Jede Aktion »kippt« am Ende in einen symbolischen Gegensatz und ermöglicht dem Zuschauer gleich zu Beginn entsprechend der Exposition die für eine kritische Haltung unerläßliche »Gemütsfreiheit«, wie Schiller es nennt. Auch Maciek wird dadurch bereits in der ersten Szene recht eindeutig charakterisiert: ein Draufgänger, nicht von Natur aus, sondern durch die Umstände dazu gemacht, auf das Töten konzentriert und dann wieder sprunghaft heiter – daher für die Hintermänner ein brauchbarer Dilettant. Er ist nicht von jenem kalten Kalkül wie Andrzej. In der nächsten Szene deckt Wajda den sozialen, letztlich politischen Hintergrund auf. Hier gelangt er im Sinne der Polnischen Schule zum Zentrum sozialer Stimmungen, indem er die aufgebrachte Bevölkerung sprechen läßt: »Immer müssen wir den Kopf hinhalten! [. . . ] Wann hört das auf? Der Krieg ist vorbei, wir wollen unsere Ruhe haben!« Der Krieg wird nicht länger als heroische Notwendigkeit betrachtet. Er verursacht Leid und bringt persönliche Tragödien, in denen die absurde Nutzlosigkeit der Opfer offenbar wird. Einer der aufgebrachten Arbeiter bringt es auf den Punkt: »Wofür sind sie denn gestorben? [. . . ] Für Polen?« Dieses konstante Motiv, zugleich das nationale Trauma, wird hier erstmals in die Dramaturgie eingeführt. Die fast schon verachtende Ironie, die der Arbeiter in seine Stimme legt, kennzeichnet seine eigene Position. Er ist einer von denen, die dem Inferno des Krieges zwar entronnen, jedoch seelisch ausgebrannt sind und das Vertrauen in jegliche Erneuerung verloren haben. Von einer Zukunftsperspektive kann nicht die Rede sein – im Gegenteil: die Bevölkerung wird zum unschuldigen Opfer zweier rivalisierender Positionen – Nationalisten gegen Kommunisten. Indem Wajda der Figur des Arbeiters bereits in der Exposition jene Politikverdrossenheit in den Mund legt, schafft er die Voraussetzungen seiner filmischen Aussage: er nimmt die Haltung des Skeptikers ein, ohne jedoch eindeutig zu verurteilen. Jene soziale Frage – hier die Situation der Arbeiter – gerät Wajda somit bereits in der Exposition des Films zum nationalen Problem. Mit Szczukas Worten »Das Ende des Krieges ist noch nicht das Ende unseres Kampfes!« sind die beiden gegensätzlichen politischen Positionen definiert, die des Widerstandskämpfers Maciek ebenso wie die des sozialistischen Aufbaus, für den Szczuka sich einsetzt. Doch bereits in der Exposition unterläßt Wajda durch die gleichberechtigte Gegenüberstellung der Gegner Maciek und Szczuka jegliche Konzession an das, was die jeweilige Parteiorthodoxie als »historische Lehre« zur Denkvorschrift erhoben hat. Seine kritische Haltung bleibt ambivalent und ist keineswegs auf eine politische Formel zu reduzieren.

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