- 12 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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seiner Bedeutung löst. Dies werde sich zweifellos nachteilig auf die Montage auswirken, da der Ton in diesem Falle eine reine Überlagerung des Films ohne tiefere Bedeutung wäre, als solche überflüssig. An diesem Punkt ist Eisensteins Theorie vom Ton im Film zum ersten Mal mißverständlich. Da die Art der Montage – bei Eisenstein durch den Ausdruck »Montage der Attraktionen«3
3 Sergej M. Eisenstein: »Montage der Attraktionen.« In: Albersmeier 1990, S. 46.
charakterisiert, d.h. durch Opposition der Einstellungen bestimmt – für ihn das wichtigste Element des Films darstellt, ist es nicht nachzuvollziehen, warum gerade eine parallele Gestaltung durch Musik, die der Art der opponierenden Einstellungen folgt, d.h. Gegensätze unterstreicht, nicht angebracht wäre. Für ihn wird lediglich eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil auf die Dauer neue Möglichkeiten der Montageperfektion eröffnen. Somit lautet Eisensteins Devise: nicht »Adhäsion«, sondern »Juxtaposition«4
4 Helga de la Motte-Haber/Hans Emons: Filmmusik. Eine systematische Beschreibung. München 1980, S. 19. Emons bezieht sich auf einen Aufsatz von Eisenstein, Pudowkin und Alexandrow.
als neues Element der Montage. Ton und Bild müssen sich kontrapunktisch oder zumindest zunächst asynchron selbständig zueinander verhalten. Wie eine kontrapunktische Relation von Ton und Bild auszusehen hat, läßt Eisenstein im Manifest unerwähnt. In seinen Erläuterungen zur Vertonung der Generallinie deutet Eisenstein lediglich an, der Ton muß wie das Bild ein selbständiger Bestandteil des Ganzen sein.5
5 Werner Sudendorf: Eisenstein, Materialien zu Leben und Werk. München/Wien 1975, S. 93.
Die Formulierung verbirgt, daß der Begriff des Kontrapunkts in Eisensteins Sprachgebrauch stets ein Synonym für Konflikt darstellt, für den Punkt, an dem visuelle und auditive Ebene zusammenprallen. An diesem Punkt ist Eisensteins Theorie ein zweites Mal schwer nachvollziehbar. Das Element der Montage ist für ihn das wichtigste Strukturelement des Films. Eisensteins Auffassung von Montage ist – wie bereits erwähnt – stets vom Prinzip der Opposition bestimmt. Während die »amerikanische Montage« nach Griffith als Parallelmontage angelegt ist, die den Handlungsverlauf durch Tempo- und Spannungssteigerung in einem quantitativen Sinne parallel anreichert, versteht sich Eisensteins Montage in der Art und Weise, daß weniger der parallele Schnitt als vielmehr der Zusammenprall von ihrerseits opponierenden Montage-Elementen den Sinn der Handlung freilegen soll. Das Prinzip des Konflikts reicht bei Eisenstein bis in die einzelnen Montageteile, bis in die einzelne Einstellung. Als solche wird sie zum »molekülhaften Sonderfall der Montage«6
6 Sergej M. Eisenstein: »Das Prinzip einer Filmkunst jenseits der Einstellung (1929, Titel des Herausgebers).« In: Hans-Joachim Schlegel (Hrsg.): Sergej M. Eisenstein. Schriften 3. München 1975, S. 236.
, in dem jene Raum-, Volumen- und Lichtkonflikte enthalten sind, die dann per Montage entfaltet werden. Mikro- (d.h. Einstellung) und Makrostrukturen (d.h. Montage) werden so aufeinander bezogen. Mit dieser sich allerdings gegenseitig bedingenden Relation von Einstellung und Montage widerspricht Eisenstein der von ihm geforderten selbständigen Position aller Elemente im Film. Wenn Einstellung und Montage bereits seiner Theorie widersprechen, ist es fraglich, wie sich der Ton hier als selbständig kontrapunktisches Element zum Film verhält. Offenbar hat Eisenstein die Theorie des radikal »kontrapunktischen« Tons, d.h. einer zum Bild gegensinnigen Verwendung von Musik, nie verwirklicht noch theoretisch zu

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