seiner Bedeutung löst. Dies werde sich zweifellos nachteilig auf die
Montage auswirken, da der Ton in diesem Falle eine reine Überlagerung des
Films ohne tiefere Bedeutung wäre, als solche überflüssig. An diesem Punkt
ist Eisensteins Theorie vom Ton im Film zum ersten Mal mißverständlich.
Da die Art der Montage – bei Eisenstein durch den Ausdruck »Montage der
Attraktionen«3
3 Sergej M. Eisenstein: »Montage der Attraktionen.« In: Albersmeier 1990, S. 46.
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charakterisiert, d.h. durch Opposition der Einstellungen bestimmt – für ihn das
wichtigste Element des Films darstellt, ist es nicht nachzuvollziehen, warum
gerade eine parallele Gestaltung durch Musik, die der Art der opponierenden
Einstellungen folgt, d.h. Gegensätze unterstreicht, nicht angebracht wäre. Für
ihn wird lediglich eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung
zum visuellen Montage-Bestandteil auf die Dauer neue Möglichkeiten der
Montageperfektion eröffnen. Somit lautet Eisensteins Devise: nicht »Adhäsion«, sondern
»Juxtaposition«4
4 Helga de la Motte-Haber/Hans Emons: Filmmusik. Eine systematische Beschreibung.
München 1980, S. 19. Emons bezieht sich auf einen Aufsatz von Eisenstein, Pudowkin
und Alexandrow.
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als neues Element der Montage. Ton und Bild müssen sich kontrapunktisch
oder zumindest zunächst asynchron selbständig zueinander verhalten. Wie eine
kontrapunktische Relation von Ton und Bild auszusehen hat, läßt Eisenstein im Manifest
unerwähnt. In seinen Erläuterungen zur Vertonung der Generallinie deutet Eisenstein
lediglich an, der Ton muß wie das Bild ein selbständiger Bestandteil des Ganzen
sein.5
5 Werner Sudendorf: Eisenstein, Materialien zu Leben und Werk. München/Wien 1975,
S. 93.
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Die Formulierung verbirgt, daß der Begriff des Kontrapunkts in Eisensteins
Sprachgebrauch stets ein Synonym für Konflikt darstellt, für den Punkt, an dem visuelle
und auditive Ebene zusammenprallen. An diesem Punkt ist Eisensteins Theorie ein
zweites Mal schwer nachvollziehbar. Das Element der Montage ist für ihn das
wichtigste Strukturelement des Films. Eisensteins Auffassung von Montage ist – wie
bereits erwähnt – stets vom Prinzip der Opposition bestimmt. Während die
»amerikanische Montage« nach Griffith als Parallelmontage angelegt ist, die den
Handlungsverlauf durch Tempo- und Spannungssteigerung in einem quantitativen Sinne
parallel anreichert, versteht sich Eisensteins Montage in der Art und Weise, daß
weniger der parallele Schnitt als vielmehr der Zusammenprall von ihrerseits
opponierenden Montage-Elementen den Sinn der Handlung freilegen soll. Das Prinzip
des Konflikts reicht bei Eisenstein bis in die einzelnen Montageteile, bis in die
einzelne Einstellung. Als solche wird sie zum »molekülhaften Sonderfall der
Montage«6
6 Sergej M. Eisenstein: »Das Prinzip einer Filmkunst jenseits der Einstellung (1929, Titel
des Herausgebers).« In: Hans-Joachim Schlegel (Hrsg.): Sergej M. Eisenstein. Schriften
3. München 1975, S. 236.
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in dem jene Raum-, Volumen- und Lichtkonflikte enthalten sind, die dann per Montage
entfaltet werden. Mikro- (d.h. Einstellung) und Makrostrukturen (d.h. Montage) werden
so aufeinander bezogen. Mit dieser sich allerdings gegenseitig bedingenden Relation von
Einstellung und Montage widerspricht Eisenstein der von ihm geforderten selbständigen
Position aller Elemente im Film. Wenn Einstellung und Montage bereits seiner Theorie
widersprechen, ist es fraglich, wie sich der Ton hier als selbständig kontrapunktisches
Element zum Film verhält. Offenbar hat Eisenstein die Theorie des radikal
»kontrapunktischen« Tons, d.h. einer zum Bild gegensinnigen Verwendung von Musik,
nie verwirklicht noch theoretisch zu
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