Mehrheit
während des Krieges an der Seite der sowjetischen Armee gekämpft hatte und mit
ihr nach Polen zurückgekehrt war. Nach der Befreiung brachen diese Fronten
auf.26
26 Boleslaw Sulik: »Introduction.« In: Lorrimer Publishing (Hrsg.): Classic Film Scripts.
Andrzej Wajda. Three Films: Ashes and Diamonds. A Generation. Kanal. New York
1984, S. 18.
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Die radikalen Änderungen der politischen Landschaft hatten Mitte der fünfziger Jahre
wieder ein polnisches Geschichtsbewußtsein erwachen lassen und eröffneten neue
Perspektiven auf das »polnische Drama«. In seinem Film Asche und Diamant beleuchtet
Wajda somit gegenwärtige Zustände durch die Vergangenheit, er bringt zwei
unterschiedliche Epochen polnischer Geschichte miteinander in Einklang. Die
verbindende Klammer zwischen beiden ist der Aspekt fragwürdig gewordener
Wertevorstellungen. So wie bürgerliche Normen im Jahre 1945 durch die sozialistische
Umstrukturierung der Gesellschaft über den Haufen geworfen wurden, so erreichten im
Jahre 1956 die politischen Veränderungen nach Stalin ihren Höhepunkt. Auf einmal
galten die Werte nichts mehr, in deren sozialistischer Ordnung die Zwanzigjährigen
der fünfziger Jahre aufgewachsen waren. Somit reflektiert er hier ein neues
kritisches Geschichtsbewußtsein aus der gegenwärtigen Perspektive des Jahres
1958.
Gemäß Wajdas konstanter Thematik der Ausweglosigkeit, die er auch in Asche und
Diamant realisiert, steht seine Haltung der Skepsis näher als der Heldenverehrung. Sie ist
der Melancholie verwandter als dem »revolutionären Optimismus« des sozialistischen
Realismus. Wajda bekennt sich hier weniger zu dessen problemlosen geradlinigen als eher
zu jenem zwiespältigen, schwierigen Menschen, den seine Helden widerspiegeln. Hat
er damit bereits in Generation eine Umwertung des sozialistischen Realismus
vorgenommen, so wird dieser Ansatz jedoch in Kanal und noch deutlicher in
Asche und Diamant weitaus planmäßiger. Er erarbeitet sich hier neue Stufen der
Erkenntnis über die menschlichen Widersprüchlichkeiten. Den ursprünglich
vorgeschriebenen »positiven«, dem »Aufbau« nach dem Krieg und der »lichten Zukunft«
zugewandten Haltung zuwider schärft er seinen kritischen Blick vielmehr für die
unaufhebbare Einsamkeit des Menschen in der Nachkriegszeit – das Verhältnis des
Einzelnen zur Geschichte und die in ihm verborgene Seinserfahrung – als solches
ein weiteres »existentielles« Grundmotiv in Wajdas Werk. So richtet er seine
Aufmerksamkeit auf das Elend derjenigen, die sich in politischem Idealismus verschlissen
haben.27
27 Kreimeier 1980, S. 14/44.
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Asche und Diamant einem eindeutigen Genre zuzuordnen, ist problematisch, um nicht
zu sagen unmöglich. Zunächst einmal sei festzuhalten, daß es sich bei Asche und
Diamant eindeutig um einen Autorenfilm handelt. Besonderes Merkmal ist eine
von Konventionen abweichende Ästhetik – wie diese für alle Regisseure der
Polnischen Schule zutrifft. Dies ist umso erstaunlicher, da die eigentliche Theorie
der Autorenschaft im Film erst im Laufe der fünfziger und sechziger Jahre in
Frankreich und den Vereinigten Staaten aufkam. Autorenschaft ist zudem überall da
anzuerkennen, wo es um die Entdeckung erheblicher Erfahrungen geht, denen
der Zuschauer nachsinnt. Die Interpretation eines Autorenfilms verlangt im
Gegensatz zur Massenproduktion geschärfte Aufmerksamkeit gegenüber Figuren,
Handlungen, Rhythmen u.ä., die für verschiedene Kontexte des Werkes stehen.
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