Wirkung in der
Sowjetunion zurückblicken. Er fiel erstmals offiziell im Herbst 1932 anläßlich einer Konferenz
der »Russischen Assoziation Proletarischer Schriftsteller« (RAPP). Damit markierte er einen
Einschnitt in der bisherigen offiziellen Kulturpolitik der UdSSR, was für ein knappes
Vierteljahrhundert nicht nur weitreichende Folgen für die Sowjetunion haben sollte, sondern
auch für alle unter ihrem Einfluß stehenden Länder. Mit konkretem Inhalt füllte Andrej
Shdanow, Stalins kulturelles Sprachrohr, den Begriff des sozialistischen Realismus auf dem I.
Unionskongreß der Sowjetschriftsteller im Jahre 1934. Dabei schwang er sich zu folgenden
pompösen Bemerkungen hoch:
»Die Haupthelden der literarischen Werke sind in unserem Land die aktiven
Erbauer des neuen Lebens: Arbeiter [...], Kollektivbauern [...], Parteifunktionäre,
Wirtschaftler, Ingenieure, Komsomolzen und Pioniere. [...] Unsere Literatur
ist erfüllt von Optimismus und Heldentum. [...] Sie ist optimistisch ihrem
Wesen nach, weil sie die Literatur der aufsteigenden Klasse, des Proletariers,
der einzigen fortschrittlichen und fortgeschrittenen Klasse ist. [...] Dabei
muß die wahrheitsgetreue und historisch konkrete künstlerische Darstellung
mit der Aufgabe verbunden werden, die werktätigen Menschen im Geiste des
Sozialismus ideologisch umzuformen und zu erziehen. Das ist die Methode,
die wir in der schönen Literatur [...] als die Methode des sozialistischen
Realismus bezeichnen.«4
4 Andrej Shdanow 1934, zit. n. Klaus Kirschner: Asche und Diamant. Die Geschichte des
polnischen Spielfilms von 1899 bis 1976. Erlangen 1977, S. 42–43.
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Mit zunehmendem Aufbau der Industrie und sozialer Umgestaltung im Inneren des Staates
zu Beginn der dreißiger Jahre wurde dem Film im Dienste der Parteidoktrin eine aktive
Helferrolle, eine Mittlerfunktion zugewiesen. Lediglich der Inhalt, das »Typische, der politische
Extrakt« eines Werkes galt als verbindlich. Das Dogma verbot alle »formalistischen« Tendenzen
als »dekadent«. Die Folgen davon waren Schematismus, Stereotypen und Standardisierung,
einfache Schwarz-Weiß-Malerei: auf der einen Seite die positiv strahlenden Helden, jedoch
psychologisch unglaubwürdig gezeichnet, auf der anderen Seite die »Agenten«, »Saboteure« und
andere durchtriebene Schurken, »Feinde der Errungenschaften des Sozialismus«. Mit
Beginn der fünfziger Jahre hatte der sozialistische Realismus den polnischen Film
erreicht. Dies hatte weitreichende Folgen. Die Anzahl der produzierten Filme nahm
deutlich ab – eine Folge der künstlerischen Einschnürungen und Gesinnungsdiktaten.
Individuelle Geschichten wurden im polnischen Film lediglich zur Folie zur Illustration von
Machtstrukturen, die von abstrakten und schematisierten Charaktermasken verkörpert
wurden.
Im Jahre 1956 trat eine Liberalisierung des polnischen Films ein. Die
Ursache lag wiederum in der UdSSR: Josef Stalin stirbt am 5. März 1953.
Diese erste »Tauwetter-Periode« nach Stalins Tod hatte nun auch Polen
erreicht.5
5 Kristin Thompson/David Bordwell: Film History. An Introduction. New York/St. Louis/San
Francisco u.a. 1994, S. 474; vgl. auch Enno Meyer: Grundzüge der Geschichte Polens.
Darmstadt 1990, S. 118–119.
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In seinem Filmdebüt Pokolenie (Eine Generation), der erste seiner »Kriegstrilogie« (was sie
jedoch im strengen Sinne nicht ist), zeigte Wajda bereits im Jahre 1954 deutliche
Auflösungserscheinungen des sozialistischen Realismus. Wajda arbeitete hier zum ersten Mal an
einer »romantischen« Subversion der herrschenden Normen, bearbeitete sie gegen den Strich,
indem er das Debakel der einengenden Kunstdoktrin bloßlegte. Sein Protagonisten sind völlig
differenziert charakterisiert; die Helden verlassen ihre vorgeschriebene Dimension, sie werden zu
Individuen.6
6 Mira und Antonín J. Liehm: The Most Important Art. Eastern European Film after 1945.
Berkeley/London 1977, S. 182.
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Die Vorwegnahme des differenzierten Helden und seiner individuellen Prägung wertet Kirschner zu
Recht als Signal der in der Mitte der fünfziger Jahre aufkommenden Liberalisierung des polnischen
Films.7
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