- 112 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (111)Nächste Seite (113) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Seichte Unterhaltungsmusik ist den meisten Szenen im Hotel Monopol unterlegt, in denen die snobistische Bourgeoisie ihren trügerischen Triumph feiert. Bezeichnenderweise handelt es sich hierbei um eine beharrlich wiederkehrende dekorative Mischung aus folkloristisch angehauchtem Tango, Walzern und Polkas. Doch begnügt Wajda sich hier nicht nur mit rein dekorativer Klangfolie. In den Szenen 20 und 22 drehen sich die Paare im 34-Takt von Johann Strauß’ Wiener Blut. Die Kommunisten dagegen schwelgen im Nebenraum zu den Klängen von Parteiliedern im Siegestaumel. Szczuka erinnert sich voller Nostalgie an die »alten Zeiten«, indem er sich in eine Platte mit Liedern der spanischen Revolutionäre auf einem ebenso nostalgischen Grammophon anhört. Schließlich beendet die Aristokratie das Gelage mit der schwungvollen Polonaise A-Dur von Frédéric Chopin, gefolgt von der Polonaise Adieu à la patrie des polnischen Komponisten Michal Kleofas Oginski. Das Chopinsche Zitat wird der These entsprechend bei der Analyse im Vordergrund stehen, die Funktionen aller anderen Themen werden im Zusammenhang der Dramaturgie des Films charakterisiert.

8.1.  Entstehungsgeschichte und Genre

»Ich wollte mit meinem bescheidenem Film vor dem Zuschauer die komplizierte und schwierige Welt dieser Generation enthüllen, der auch ich selber angehöre«, so äußert sich Wajda (*1926 in Polen) in einem Interview.1

1 Andrzej Wajda, ohne Quellenangaben, zit. n. Dieter Krusche: Reclams Filmführer. Stuttgart 1996, S. 505.
Asche und Diamant ist der dritte Film von Wajdas sogenannter »Kriegstrilogie«2
2 Dazu gehören neben Asche und Diamant die Filme Eine Generation (1954) und Kanal (1956).
. Der Film kam erst 1961 in die Bundesrepublik Deutschland und wurde bereits damals als ein Meisterwerk des Regisseurs gefeiert. Allerdings, so wird in der Literatur häufig kritisiert, griff die damalige Kritik zu kurz. Man erkannte seine politischen Dimensionen lediglich in Umrissen, historische und literarische Bezüge seien nur vage beschrieben.3
3 Klaus Eder: »Kommentierte Filmographie.« In: Peter W. Jansen/Wolfram Schütte (Hrsg.): Andrzej Wajda. Reihe Film 23. München 1980, S. 112.
Ein Grund hierfür lag sicherlich in mangelhafter Kenntnis der damaligen polnischen Filmlandschaft. Kritiker der westeuropäischen Staaten hatten zur Entstehungszeit des Films zu wenig Orientierungspunkte, anhand derer sie diesen Film hätten messen und einordnen können. Hinzu kam die allgemeine Unkenntnis polnischer Literatur. Asche und Diamant basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jerzy Andrzejewski, erschienen im Jahre 1948, dessen deutsche Übersetzung jedoch erst zwölf Jahre später herauskam.

Wajdas Asche und Diamant gilt heute als ein repräsentatives Werk der Polnischen Schule. Es handelt sich dabei um eine Filmbewegung in Polen, die ihren Ursprung in den politischen Ereignissen der frühen fünfziger Jahre hat. Eine neue Richtung, die sich vehement vom bisherigen Kunstprinzip des Sozialistischen Realismus lossagte.

Der Begriff des »Sozialistischen Realismus« entstammt dem Vokabular der stalinistischen Kulturpolitik. Im polnischen Film war dieser Begriff besonders in den Jahren 1949 bis 1955 dominant. Zu diesem Zeitpunkt konnte er jedoch bereits auf eine langjährige


Erste Seite (i) Vorherige Seite (111)Nächste Seite (113) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 112 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik