- 104 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (103)Nächste Seite (105) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Filmen bzw. das Hören von Musik ist geprägt von bestimmten Gewohnheiten. Das bedingt, daß filmische Elemente sowohl auf der visuellen als auch auditiven Ebene bestimmte Wirkungen beim Rezipienten haben.4
4 Schaaf 1980, S. 81.
Diese Methode untersucht, wie sich bestimmte Wirkungsabsichten des Regisseurs durch den filmischen Code realisieren lassen. Im Falle der autonomen Musik bedeutet dies: das Zitat zeichnet sich durch einen bestimmten Kontext aus, der im Film einen Code darstellt, der Film wird entsprechend der These semantisch geprägt. Die Absicht des Regisseurs ist es nun, daß der Rezipient das Zitat entsprechend seinen Hörgewohnheiten (wirkungsgenetische Komponente) erkennt und den filmischen Code realisiert. Die Musikanalyse soll nun feststellen, ob und inwiefern die Absicht des Regisseurs, den Film entsprechend der vorangestellte These durch das Zitat semantisch zu bereichern, erfüllt wird und damit letztlich der funktionalen Analyse des Zitats genügt.

7.2.  Modelle der Musikanalyse: das Filmmusikprotokoll

Mit seiner »audiovisuellen Partitur« war Eisenstein einer der ersten Regisseure, der die Zuordnung von auditiver und visueller Ebene in einem Diagramm zusammengefaßt hat (vgl. Abbildung 7.2). Es handelt sich um Bildausschnitte aus Eisensteins Alexander Newski (1938) mit der Musik von Prokofieff. Die Bilder zeigen die Erwartung der Schlacht auf dem Peipus-See, darunter die Musik Prokofieffs und die Zeiteinheiten. Unterhalb folgt dann ein schematisches Bildgefüge und ein Bewegungsdiagramm. Hier versuchte Eisenstein, sein Prinzip der Vertikalmontage optisch zu verdeutlichen. Die Abbildung zeigt die intendierte Parallelität von Bild, Musik und Bewegung, die beiden Medien – Film und Musik – eigen ist. Aufsteigende Linien sind mit einer aufsteigenden Tonfolge gleichgesetzt und umgekehrt. Tonrepetitionen sind als »horizontale Gesten« gleichgesetzt mit horizontalen Linien. Die Gleichsetzung von Musik und Bild geht nach Eisensteins Vorstellung sogar so weit, daß die Fahnen der Achtelnoten mit den Fahnen der Krieger im Bild kongruent sein sollen, was natürlich einer völlig absurden Vorstellung entspricht. Die Anordnung des Diagramms deutet auf die Unzulänglichkeit ihrer Verwirklichung, denn die strukturellen Parallelen, die Eisenstein zwischen Bild und Musik konstruiert, existieren nur auf dem Papier. Hörbar und erlebbar, so Motte-Haber, sei die Strichzeichnung, die über den Bewegungsvorgang hinaus auch das affektive Geschehen wiedergeben soll, nicht.5

5 Motte-Haber/Emons 1980, S. 75.



Abbildung 7.2: »Audiovisuelle Partitur« nach Sergej M. Eisenstein


Zudem handelt es sich um eine Art von Diagramm, das als Modellanalyse für die filmmusikalische Praxis gedacht war, um den Begriff der Vertikalmontage zu realisieren. Daß Prokofieff eine Musik komponierte, die sich in ihrer Bewegung dem Film adäquat fügte, verdankte Eisenstein lediglich dessen Erfindungsgeist und nicht allgemeinen, theoretisch fixierten Erwägungen. Dennoch hielt er diese Szene nach ihrer Fertigstellung in einem Analysemodell fest, das sich jedoch weniger an der tatsächlichen Szene als an seiner eigenen Theorie orientiert.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (103)Nächste Seite (105) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 104 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik