Der Weg zur Erwachsenensprache
Ungefähr mit einem Jahr beginnen Kleinkinder, erste Wörter hervorzubringen, im
zweiten Lebensjahr vollzieht sich ein schneller Zuwachs, so dass zum Ende des zweiten
Lebensjahres ungefähr 200 Wörter produziert werden können (Grimm 1995, S. 715).
Der Fortschritt im Spracherwerb nach dem 18. Lebensmonat kann geradezu
als explosionsartig bezeichnet werden; im Hinblick auf diesen erstaunlichen
Kompetenzzuwachs spricht Andreas Hamburger (1995) sogar von einem
»Lernbarkeitsparadox« (ebd., S. 105). Als Grundlage für diesen Vorgang wird das
Vorhandensein angeborener sprachspezifischer Hirnstrukturen angenommen (vgl. Grimm
1987). Auf die verschiedenen Theorien über den Spracherwerb (Chomsky 1973
und 1974, Lurija 1970, Wygotski 1991) soll hier nicht eingegangen werden,
da deren Schwerpunkte mehr auf der syntaktischen Ebene liegen, Sprache als
Kodierungssystem behandeln oder den Zusammenhang von Denken und Sprechen
thematisieren.
Sprachentwicklung setzt sich weiter fort, indem Einwort-Äußerungen zu Zweiwort-,
Dreiwort- und schließlich komplexeren Sätzen kombiniert werden. In Sprachäußerungen
von Kleinkindern sind zunächst noch alle Silben betont, im zweiten bis vierten
Lebensjahr findet dann eine Umstrukturierung statt:
Die Weiterentwicklung des Sprechens besteht dann offenbar darin, dass
die Kinder die Sprechgeschwindigkeit erhöhen und lernen, für die
Kommunikation unwichtige Silben von der Betonung auszuschließen, d. h.
lernen, auch unbetonte Silben zu erzeugen. (Kalveram 2000, S. 212).
Neben den Betonungsmustern weichen auch die Artikulation und die Anzahl der
wiedergegebenen Silben zunächst von der ›erwachsenen‹ Sprache ab, dennoch ist von
einem ausgesprochen frühen Erwerb verschiedener Funktionen auszugehen: schon in der
zweiten Hälfte des dritten Lebensjahrs scheint die kindliche Phonologie mit der der
Erwachsenensprache sowohl auf der segmentalen Ebene (d. h. die Phoneme betreffend)
als auch auf der suprasegmentalen (prosodischen) Ebene in den wesentlichen
Bestandteilen überein zu stimmen (vgl. Penner 2000, S. 106). Mit vier bis fünf Jahren
nähert sich die Kindersprache dann endgültig der Erwachsenensprache an, variiert dabei
allerdings individuell stark. Für das Sprachverständnis bleibt speziell der Aspekt des
Sprachrhythmus auch für eine ausgereifte Sprech- und Sprachfähigkeit bestimmend:
Reaktionszeit-Tests wiesen nach, dass die »rhythmische, zeitlich prädiktive
Struktur des Sprechens eine wesentliche Bedeutung für die Prozessierung in der
Sprachverarbeitung hat« (Bergmann 1987, S. 111) – dieses gilt auch noch im
Erwachsenenalter.
Es bleibt festzuhalten, dass lautliche Äußerungen von Anfang an rhythmisch geprägt
sind. Allerdings geschieht die erste zeitliche Steuerung von Lauten nicht willkürlich,
sondern als zufällige Begleitung rhythmischer Tätigkeiten wie Atmen oder Saugen. Der
Beginn der eigentlichen sprachlichen Steuerung geschieht durch die Verdoppelung
bzw. Verkettung von Silben. Für den Spracherwerb spielen die Elemente der Prosodie
eine erhebliche Rolle, dabei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: zum einen
ermöglichen bzw. erleichtern Akzente, Betonungen, Sprachmelodie und Klangfarbe das
Sprachverständnis und dienen als unverzichtbare Brücke zum Begreifen komplexer
Strukturen. Zum anderen spielt sich der Beginn der Lautäußerungen auf der
Ebene der genannten Parameter ab: bevor über den semantischen