- 63 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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frühen Spracherwerb bedeutsam: Zum einen ist das Kleinkind in der Lage, sich auf die suprasegmentalen Informationen im Sprachfluss zu beschränken, d. h. das segmentale Material systematisch auszublenden. Zum anderen nutzt das Kind die rhythmisch-prosodische Information als eine Art ›Steigbügel‹, um aus auf dieser Ebene erhaltenen Informationen auf grammatische Regeln rückschließen zu können (Penner 2000, S. 114f.).
Kleinkinder speichern zunächst klangliche ›Hüllen‹, die erst später inhaltlich gefüllt und hinsichtlich ihres Regelsystems verstanden werden.

Holistisch statt minimalistisch: vom Satz zum Wort, vom Wort zur Silbe

Die parallel zu dem Begriff der Prosodie gebräuchliche Bezeichnung ›suprasegmental‹ weist darauf hin, dass Informationen dieser Ebene nicht die kleingliedrigen Elemente wie Silben oder gar Phoneme betrifft, sondern größere Äußerungsabschnitte wie ganze Sätze, Phrasen oder zumindest Wörter betreffen. Tatsächlich findet die Entschlüsselung der sprachlichen Einheiten vom Großen zum Kleinen statt. Kinder nehmen zuerst Sätze wahr, später Phrasen, noch später Wörter. Erst danach fokussieren sie Segmente – also Silben oder Phoneme (vgl. Penner 2000, S. 116). Sprachliche Einheiten werden mittels ihrer musikalischen Gestaltung zunächst als Gesamtgestalten aufgenommen und verarbeitet, erst später im Spracherwerbsprozess richtet sich die Aufmerksamkeit auf Ausschnitte des Ganzen.

Kleinkinder orientieren sich zunächst an großen Einheiten, erst später an kleineren Bausteinen.

Das Phänomen der Ammensprache

Die Aufmerksamkeit für die musikalischen Elemente der Sprache seitens der Kinder korrespondiert mit der Neigung von Erwachsenen, mit ihnen besonders ›musikalisch‹ zu sprechen. Kulturübergreifend tendieren Menschen kleinen Kindern gegenüber dazu, (über)deutlich zu artikulieren, Phrasierungen hervorzuheben und die Kontraste von Klangfarbe, Melodik und Betonung zu verschärfen. Das verwendete Vokabular ist eingeschränkt, Äußerungen werden häufig wiederholt, insgesamt wird die Stimme angehoben und das Tempo verlangsamt (vgl. Papoušek und Papoušek 1981, Papoušek 1994). Dieses Verhalten wird unter der Bezeichnung Ammensprache zusammengefasst oder auch als »baby talk« (Grimm 1995, S. 746), »motherese« bzw. »parentese« (Butzkamm, 1999, S. 89) bezeichnet. Kinder werden in eine soziale Umwelt hineingeboren, in der die sie umgebenden Menschen eine starke Neigung haben, mit ihnen zu sprechen. Und so, wie die den Säuglingen angebotenen Sprachlaute von den Erwachsenen musikalisiert werden, laufen auch die so beliebten Kitzel- und Bewegungsspiele nach musikalischem Muster ab:

Die Spielchensequenzen werden vor allem durch prosodische Elemente strukturiert und enthalten gewöhnlich eine aufmerksamkeitsweckende, erregende Komponente mit steigender Melodie und Intensität, eine erregungssteigernde Pause vor dem durch ein Tonhöhenmaximum markierten Höhepunkt und eine Entspannungskomponente mit fallender Melodie (Papoušek 1994, S. 124).


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