frühen Spracherwerb
bedeutsam: Zum einen ist das Kleinkind in der Lage, sich auf die suprasegmentalen
Informationen im Sprachfluss zu beschränken, d. h. das segmentale Material
systematisch auszublenden. Zum anderen nutzt das Kind die rhythmisch-prosodische
Information als eine Art ›Steigbügel‹, um aus auf dieser Ebene erhaltenen
Informationen auf grammatische Regeln rückschließen zu können (Penner 2000,
S. 114f.).
➢ | Kleinkinder speichern zunächst klangliche ›Hüllen‹, die erst später inhaltlich gefüllt
und hinsichtlich ihres Regelsystems verstanden werden. | |
Holistisch statt minimalistisch: vom Satz zum Wort, vom Wort zur Silbe
Die parallel zu dem Begriff der Prosodie gebräuchliche Bezeichnung ›suprasegmental‹
weist darauf hin, dass Informationen dieser Ebene nicht die kleingliedrigen Elemente wie
Silben oder gar Phoneme betrifft, sondern größere Äußerungsabschnitte wie ganze Sätze,
Phrasen oder zumindest Wörter betreffen. Tatsächlich findet die Entschlüsselung der
sprachlichen Einheiten vom Großen zum Kleinen statt. Kinder nehmen zuerst Sätze
wahr, später Phrasen, noch später Wörter. Erst danach fokussieren sie Segmente – also
Silben oder Phoneme (vgl. Penner 2000, S. 116). Sprachliche Einheiten werden mittels
ihrer musikalischen Gestaltung zunächst als Gesamtgestalten aufgenommen und
verarbeitet, erst später im Spracherwerbsprozess richtet sich die Aufmerksamkeit auf
Ausschnitte des Ganzen.
➢ | Kleinkinder orientieren sich zunächst an großen Einheiten, erst später an kleineren
Bausteinen. | |
Das Phänomen der Ammensprache
Die Aufmerksamkeit für die musikalischen Elemente der Sprache seitens der Kinder
korrespondiert mit der Neigung von Erwachsenen, mit ihnen besonders ›musikalisch‹ zu
sprechen. Kulturübergreifend tendieren Menschen kleinen Kindern gegenüber
dazu, (über)deutlich zu artikulieren, Phrasierungen hervorzuheben und die
Kontraste von Klangfarbe, Melodik und Betonung zu verschärfen. Das verwendete
Vokabular ist eingeschränkt, Äußerungen werden häufig wiederholt, insgesamt
wird die Stimme angehoben und das Tempo verlangsamt (vgl. Papoušek und
Papoušek 1981, Papoušek 1994). Dieses Verhalten wird unter der Bezeichnung
Ammensprache zusammengefasst oder auch als »baby talk« (Grimm 1995, S. 746),
»motherese« bzw. »parentese« (Butzkamm, 1999, S. 89) bezeichnet. Kinder werden in
eine soziale Umwelt hineingeboren, in der die sie umgebenden Menschen eine
starke Neigung haben, mit ihnen zu sprechen. Und so, wie die den Säuglingen
angebotenen Sprachlaute von den Erwachsenen musikalisiert werden, laufen
auch die so beliebten Kitzel- und Bewegungsspiele nach musikalischem Muster
ab:
Die Spielchensequenzen werden vor allem durch prosodische Elemente
strukturiert und enthalten gewöhnlich eine aufmerksamkeitsweckende,
erregende Komponente mit steigender Melodie und Intensität, eine
erregungssteigernde Pause vor dem durch ein Tonhöhenmaximum
markierten Höhepunkt und eine Entspannungskomponente mit fallender
Melodie (Papoušek 1994, S. 124).