- 118 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Die metrische Zeit ist ordinal und zugleich kardinal: der zeitlichen Anordnung oder ordinalen Folge der Markierungspunkte entspricht die Dauer oder der Kardinalwert der Intervalle zwischen diesen Punkten. (Piaget 1955, S. 59).
Zeitbeurteilung erfordert die Integration der Merkmale Zeitdauer und Zeitpunkt

Für den Bereich der Notenwerte in der Musik liegt tatsächlich ein verbindliches System mit sowohl kardinalen als auch ordinalen Merkmalen vor: Zeitpunkte, Zeitdauern und zeitliche Reihenfolgen von Tönen und Klängen müssen (gleichzeitig) beachtet werden. Dabei ist u. a. die schriftliche Fixierung in einem abstrakten Zeichensystem problematisch. Der bewusste Umgang mit Vierteln, Achteln oder anderen als Brüchen kodierten Notenwerten setzt die Fähigkeit zu gedanklichen Operationen, logischen Schlüssen und zur Abstraktion voraus.

Anschauliches Denken und Rhythmus

Für die so genannte Phase des anschaulichen Denkens (Kindergarten-/Vorschul-Alter) gilt, dass ein Kind beim Hören von Musik noch gar nicht in der Lage ist, gleichzeitig verschiedene Aspekte zu beachten (vgl. Gembris 1998, S. 239ff.). Weiter oben war schon der Begriff der anschaulichen Zentrierung erwähnt worden. Eine geistige Weiterentwicklung, die die gleichzeitige Beachtung verschiedener Wahrnehmungs- bzw. Handlungsebenen betrifft, wird als Erhaltung oder Konservation bezeichnet, die Kinder haben eine Vorstellung von Invarianz entwickelt: Dinge bleiben gleich, auch wenn sie ihre äußere Erscheinung verändern.

Die Fähigkeit zur gleichzeitigen Koordination von verschiedenen Wahrnehmungsaspekten ist beispielsweise deshalb wichtig, weil sinnerschließendes Musikhören die Fähigkeit verlangt, die Identität oder Ähnlichkeit des Melodischen, Rhythmischen oder Harmonischen bei gleichzeitiger Veränderung anderer musikalischer Parameter zu erkennen. (Gembris 1998, S. 240).

Das Prinzip der Variation kann beispielsweise nur erkannt werden, wenn die bedeutungstragenden Merkmale erfasst sind und quasi für einen inneren Abgleich bereit stehen.

Das Prinzip des anschaulichen Denkens betrifft auch den Umgang mit Notenlängen sowohl in Bezug auf die Notierung als auch die Ausführung. Denn ein langer Ton nimmt im Notenbild als Zeichen weniger Raum ein und erfordert auch weniger Aktion als die Notierung und/oder Ausführung einer vergleichbaren Menge kurzer Töne. Eine ganze Note ist auf dem Papier ein Zeichen und eine – allerdings fortdauernde – Aktion, vier Viertel- oder acht Achtelnoten erfordern deutlich mehr Zeichen und Spielaktionen. Entsprechend Levins Regel »any more is more time« (zitiert nach Koepsell 1991, S. 61) neigen besonders jüngere Kinder dazu, für viel Druckerschwärze oder viele Spielbewegungen auch viel Zeit zu veranschlagen. Für einen souveränen, durchdachten Umgang müsste hier das Prinzip der umgekehrten Proportionalität erfasst werden: hohes Tempo einer Aktion bedingt eine geringe Aktionsdauer, geringes Tempo verursacht eine große Dauer. Eine Häufung vieler Notensymbole wird (irrtümlich) mit einer großen Dauer gleichgesetzt, während das Zeichen einer langen Note wenig (Zeit-)Raum einzunehmen scheint. Da Dauer noch dazu an der Ereignisdichte gemessen wird (vgl. Abschnitt 6.1.3), werden viele


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