- 103 -Lehmann, Silke: Bewegung und Sprache als Wege zum musikalischen Rhythmus 
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Die Annahme, dass die beschriebenen Kategorien tatsächlich getrennt voneinander existieren, konnte durch entsprechende Experimente bestätigt werden. So zeigten Studien, dass Wortlernaufgaben (die dem Arbeitsgedächtnis zugeschrieben werden) die Verarbeitung extrem kurzer Reize (Zeitwahrnehmung, unbewusste, also subkortikale Verarbeitung) nicht störte. Umgekehrt kommt es bei dem Versuch gleichzeitiger Erfüllung von Aufgaben im Wortlern- und Zeitschätzungsbereich zu gegenseitigen Behinderungen. Ein anderer deutlicher Hinweis auf die subkortikale Verarbeitung extrem kurzer Dauern ist der Hinweis, dass eine medikamentöse Manipulation der Basalganglien (subkortikale Kerne des Großhirns) zu einer deutlich verschlechterten Wahrnehmung im Millisekunden-Bereich führt.

Folgende Tabelle fasst die Zeitverarbeitungsbereiche nach Rammsayer zusammen:





Kategorie

Größenordnung

angenommener Ort der

Verarbeitung




Zeitwahrnehmung

< 500 msec

Basalganglien?




Zeitschätzung

von einer halben Sekunde bis zu einigen Sekunden

Arbeitsgedächtnis




Zeiterleben

unbegrenzt

Hirnrinde





Zeitverarbeitung im Bereich unterhalb von 500 msec

Schon im Kapitel 5 ›Rhythmus als Merkmal von Sprache‹ war darauf hingewiesen worden, dass die zeitliche Gestalt von Sprache bereits im Säuglingsalter wahrgenommen und gespeichert wird, und somit nutzbringend in den Spracherwerbsprozess einfließt. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine subkortikale, nicht-bewusste Verarbeitung von zeitlicher Information. Rammsayer weist auf Studien hin, in denen Versuchspersonen über einen längeren Zeitraum hinweg Abweichungen von isochronen Beat-to-Beat-Intervallen beurteilen sollten. Überraschenderweise zeigte sich der erwartete Übungseffekt, der ansonsten in häufig wiederholten Versuchsaufgaben zu erwarten ist, nicht (vgl. Rammsayer 2000, S. 91). Auch dieser Befund deutet auf einen Anteil von Zeitverarbeitung hin, der nicht der kognitiven Steuerung unterliegt, sondern quasi reflexhaft abläuft. Diese Annahme wird durch die Erkenntnis gestützt, dass Blinde, die ihr visuelles Defizit ansonsten mit hervorragenden Hörleistungen kompensieren, in der Beurteilung von simplen Dauern gegenüber Sehenden nicht im Vorteil sind (ebd., S. 100f.). Bei komplexeren Reizmustern zeigt sich zwar doch ein Verarbeitungsvorteil der Nicht-Sehenden, dennoch ist auch hier wieder ein (kleiner) Bereich nachgewiesen, der offensichtlich nicht durch besondere Übung zu beeinflussen ist, sondern völlig autark abläuft.

Extrem kurze Reize werden also unbewusst verarbeitet. Hier liegt der Gedanke an den schon im Abschnitt 4.1.1 über den circadianen Rhythmus erwähnten inneren Taktgeber nahe. Wenn es eine innere Uhr gibt, wäre es sinnvoll, dass diese ihre Tätigkeit möglichst unbeeinflusst von äußerer Einwirkung ausübt. Rammsayer geht nun von einem Modell aus, in dem mit Hilfe eines Taktgebers und eines Zählers die Dauer empfangener Reize mittels der Anzahl »neuronaler Pulse«


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