- 92 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (91)Nächste Seite (93) Letzte Seite (110)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

harmonischer wie anspruchsloser Mix aus mehr oder weniger bekannten Einzelsätzen und kurzen Stücken, der gleichzeitig an vielen anderen Orten ebenfalls als Hintergrundbeschallung fungiert. Auf dieser Betrachtungsebene hat die Musik ihre Zeitgebundenheit verloren. Begnügen wir uns deshalb nun mit dem weit gefassten, umgangssprachlichen Klassik-Begriff. Markiert diese »environmental music« hier etwa »bürgerliche Schutzgebiete«? Appelliert sie an ein »gutes Betragen«, vermittelt sie etwa bestimmten »Randgruppen« das Gefühl, in diesen Bereichen nicht erwünscht zu sein? Warum steht die klassische Musik in der vorliegenden Vermittlungsweise (z. B. in der Presse) überhaupt unter Verdacht, all dies zu bewirken, im Gegensatz etwa zum arbeitslosen Violinisten, der in der Fußgängerzone aus Vivaldis »Vier Jahreszeiten« vorträgt?

Theorien über eine Zeichenhaftigkeit (Semiotik) bzw. Vermittlung von Bedeutung (Semantik) der Musik haben schon eine recht lange Tradition. Von Interesse ist auch eine Sprachähnlichkeit der Musik, etwa in der Auffassung der Musik als eine »Klangrede«99

99
Vgl. auch Harnoncourt, Nikolaus: Musik als Klangrede: Wege zu einem neuen Musikverständnis, München 1986.
oder als eine »Sprache der Gefühle«. In der Tat gibt es Parallelen. Wie die Sprache existiert die (notierte) Musik gleichfalls als Niederschrift, wie auch als akustische Form. Wie die Sprache kann die Musik als Kommunikation aufgefasst werden. Doch während in der Sprache denotative Bezeichnungen möglich sind, kennt die Musik nur konnotative Verweise. Anstatt den Verlauf der Diskussion an dieser Stelle noch einmal aufzurollen, möchte ich stattdessen den Versuch einer eigenen, pragmatischen Deutung der entstandenen »Klassik-Zonen« wagen.100
100
Überblicke und Zusammenfassungen zu verschiedenen Ansätzen sind zu finden bei Kaden (1998), Schneider (1980), Karbusicky (1986), Großmann (1990).

Ausgangspunkt sind zunächst einige Sonderfälle, in denen musikalische Zeichen recht genau auf Außermusikalisches zu verweisen vermögen. So gibt es auch bei musikalischen Kommunikationsprozessen bestimmte Situationen, in denen die möglichen »konnotativen Bündel« so eng geschnürt zu sein scheinen, dass die Bezeichnung beinahe schon denotativen Charakter hat.101

101
Vgl. zum Thema »Semantische Ablösung« auch Kaden (1998) 2171–2174.
Ein Beispiel ist der »Hochzeitsmarsch« von Mendelssohn. Schon die ersten paar Töne dürften ausreichen, um die meisten Mitglieder unseres Kulturkreises an Heirat, Hochzeit oder die Trauungszeremonie selbst zu erinnern. Die sprachliche Umschreibung der möglichen Bedeutungen zeigt jedoch auch: Hier liegen die Grenzen, genauer gelingt die Bezeichnung nicht. So bleibt sie auch in diesem Falle letztlich konnotativ, auch wenn die Grenzen des konnotativen Feldes enger abgesteckt sind als in vielen anderen Fällen. Voraussetzung für solch eine Deutung ist jedoch, dass der Hörer überhaupt geneigt ist, das Zeichen als solches zu deuten. Dies ist gerade dann nicht der Fall, wenn er es in der Kirche während einer Trauungszeremonie vernimmt, das Zeichen wäre hier schlicht tautologischer Natur. Anders verhält es sich z. B. dann, wenn Teile des Hochzeitsmarsches als Sample zu Beginn des Songs »If I Was Your Girlfriend« von Prince erklingen oder wenn sie als Bestandteil einer Filmmusik die bevorstehende Trauungsszene vorwegnehmen. Entscheidend ist also eine gewisse Distanz zum situativen Kontext, hier der Hochzeitszeremonie, als deren Bestandteil sie üblicherweise erklingt. Ähnliches wie für den Hochzeitsmarsch gilt wohl beispielsweise

Erste Seite (i) Vorherige Seite (91)Nächste Seite (93) Letzte Seite (110)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 92 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum