- 91 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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oder wie Panamas Diktator Noriega angeblich nach tagelanger Beschallung mit AC/DC-Musik aus Helikoptern zur Aufgabe gezwungen wurde.95
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Vgl. Walter (2003)
Zwar drängen sich hier – unter Berücksichtigung der allgemeinen Charakteristika von Drogensucht – spekulative Erklärungsansätze auf, die letztlich einfachen »stimulus-response«-Modellen oder informationstheoretischen Vorstellungen Rechnung tragen. Das allgemeine Wesen der Drogensucht kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

»Der Süchtige nimmt seine Droge nicht, um sich besser oder anders als normal zu fühlen, sondern um einen unerträglichen Spannungszustand zu beseitigen. Die rauschmittelfreien Perioden quälen ihn und nur eine neue Dosis kann diese Qualen dämpfen, auch wenn sie keine Euphorie mehr erzeugt. Der Normalzustand hat sich gewissermaßen auf der Drogenebene neu konstituiert.«96

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Schmitbauer/Scheidt: Handbuch der Rauschdrogen,1994, S. 620, zit. in Holziger (1998) 43f.

Man mag nun auch die Beseitigung solch eines Spannungszustandes als einen Hauptgrund für das Aufsuchen des Hauptbahnhofs, als vormaligen Umschlagsplatz harter Drogen, interpretieren. Zumindest bei all jenen anwesenden Drogenkonsumenten am Bahnhof, die dieses Bedürfnis vorerst nicht befriedigen konnten, und bei denen man also einen »quälenden Spannungszustand« diagnostizieren mag, könnte ein Erklärungsversuch ansetzen. So belegte Sigrid Flath-Becker, dass in Situationen psychischer Anspannung grundsätzlich eine weniger komplexe Musik bevorzugt wird.97

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Vgl. Flath-Becker (1987).
Anke Brokmann hat herausgefunden, dass klassische Musik von Laien grundsätzlich komplexer eingeschätzt wird als etwa von Experten.98
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Vgl. Brokmann (1987).
Die Folgerung drängt sich auf, dass die Musik also bei jenen Konsumenten auf »Entzug« als unangenehm empfunden worden ist. Dagegen spricht, dass – im Gegensatz zu den Laborbedingungen der Untersuchungen – auf dem Bahnhofsvorplatz weder eine Beurteilung der Musik abgefragt wird, noch irgendeine Wahlmöglichkeit des Musikprogramms besteht. Auch könnte man aus dem Wesen der erklingenden Musik, die grundsätzlich weniger durch repetitive Elemente geprägt ist als z. B. Pop, mutmaßen, dass sie das Vergehen der Zeit bis zum »nächsten Schuss« auf unangenehme Weise zu illustrieren vermag. Wie bereits in Kapitel 6.1.3 beschrieben, hätten jedoch die hier unterstellten Wirkungen immer auch mit der Abhängigkeit vom Umschlagplatz selbst konkurrieren müssen. So bleiben diese Annahmen hochgradig spekulativ. Wahrscheinlicher ist, dass auch hier letztendlich eher Effekte der Habitualisierung zum Tragen kommen. Besser zu fassen ist eine mögliche Wirkung der Beschallung, wenn man die Zeitebene vernachlässigt und den Fokus auf den architektonischen Charakter der permanenten Beschallung mit dem Classical-Kanal lenkt.

6.2.3.  Der Classical-Kanal als »Environmental Music«

Die Musikbeschallung mit dem Classical-Kanal schafft – hier begriffen als »environmental music« – »Klassik-Zonen« im öffentlichen Raum. Über die eigenen Lautsphären der U-Bahnhöfe und des Bahnhofsvorplatzes stülpt sich ein ebenso


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