- 90 -Klußmann, Jörg: Musik im öffentlichen Raum 
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von Fahrgästen, wie etwa bei der Münchener MVG-Umfrage ermittelt,89
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Vgl. Kapitel 2.1.
lässt sich recht gut mit Heiner Gembris’ Konzept der Orientierung interpretieren.90
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Vgl. Gembris (1994).
Nicht gedacht als erschöpfende Theorie der Musikrezeption, versucht dieser Ansatz jedoch Aspekte wie z. B. das emotionale Erleben von Musik zu integrieren, die in rein kognitiven Rezeptionstheorien meist wenig Berücksichtigung finden. Das Konzept der Orientierung will Gembris nicht missverstanden wissen als Legitimation für eine konservative Ästhetik, so ist z. B. bei der Rezeption unbekannter oder neuer Musik eine Orientierung auf anderen Ebenen möglich, z. B. auf intellektueller. Das Orientierungskonzept ist eine Erweiterung des Orientierungsbegriffs, der im Rahmen eine Psychologie der Kunst von Kreitler u. Kreitler entwickelt wurde.91
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Kreitler, H./Kreitler, S.: Psychologie der Kunst, Stuttgart 1980.
In Anlehnung daran benennt Gembris das menschliche Grundbedürfnis nach Sinn, Bedeutung und Verständlichkeit. Die Gratifikationen der Rezeption von Musik bestehen auch in unmittelbar vermittelter Orientierung, welche gleichzeitig temporär ein fundamentales Sicherheitsbedürfnis erfüllen kann. Gembris erkennt in Musik einen vielseitigen »Aufmerksamkeitsgegenstand«, der auch bei beiläufiger Wahrnehmung – also auch bei einem flüchtigen Durchschreiten eines U-Bahnhofs – Orientierungsfunktionen erfüllen kann:

»Allein das bloße Dasein von Musik als Aufmerksamkeitsgegenstand kann Orientierung vermitteln, indem es der Aufmerksamkeit einen Halt oder Fixpunkt gibt, z. B. in Situationen der Stille, wo aufgrund des momentanen Fehlens eines Aufmerksamkeitsobjekts ein Gefühl der Leere und Desorientierung auftreten kann.«92

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Gembris (1994) 109.

Zumindest die musikalischen Strukturen des hier Erklingenden, die melodischen, harmonischen und rhythmischen Prinzipien, die der Musik zugrunde liegen, dürften als allgemein vertraut vorausgesetzt werden. Orientierung entsteht aus der Möglichkeit heraus, »eine oder mehrere Ebenen der erklingenden Musik zu kognitiven, motorischen, emotionalen oder sozialen Schemata des Hörers in Beziehung zu setzen.«93

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Ebd.
Es wird angenommen, dass die Orientierungsfunktion vor allem beim flüchtigen Passieren des beschallten Raumes Relevanz besitzt. Ob sich nämlich daraus auch eine Begründung für das Verschwinden der Junkie-Szene ableiten lässt – wenn man etwa das Nicht-Gelingen der Einordnung in die sozialen Schemata der Drogensüchtigen unterstellt – ist eher zweifelhaft. Einleuchtender erscheint es, dass bei der längeren Rezeption Orientierung als Grundfunktion von Musik an Bedeutung verliert, und stattdessen eher Gewöhnungseffekte zu erwarten sind, ganz ähnlich wie beim Kaufhauspersonal, welches nach einer Weile der Musik schlicht keine Beachtung mehr schenkt.94
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Vgl. Kapitel 4.2.3.
Letztendlich wird man zugeben müssen, dass jegliche wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Folgen einer länger andauernden »Zwangsbeschallung« fehlen. Die Vorstellung erinnert eher an unbestätigte Meldungen über »Musikfolter«, wie beispielsweise das US-Militär in Bagdad angeblich Metallica-Songs einsetzte, um irakischen Gefangenen Informationen zu entlocken,

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